Die Route 66

 

Die Idee kam vom Karlsson. Er meinte, ein Mann muss einmal im Leben ein Steak gegrillt, einmal eine Qlocktwo besessen und einmal die Route 66 bereist haben. Er hat Verbindungen nach Detroit zu einer gewissen Judy, die ihm einen 53er Buick Skylark zur Verfügung stellen könne. Dabei handelt es sich um eins der angeblich schönsten Autos der Welt. „Skylark‟ ist der Name eines Vogels, natürlich ohne Krummschnabel und keineswegs aus der Gattung der Papageien, sondern eine schnöde Lerchenart, aber immerhin hat sie es zum Namensgeber eines Benzinstinkers gebracht. Wer diese Jill ist und woher der Karlsson sie kennt, habe ich noch immer nicht restlos ergründet. Ich wusste anfangs noch nicht mal, ob es sich um einen Hund, um eine Waldeule oder um einen Tintenfisch handelt. Der Karlsson hielt sich diesbezüglich sonderbar bedeckt. Das nährte die Vermutung, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen könne, windige Verwandtschaft von Ludmilla oder Tamara beispielsweise, Kontakte aus zweifelhaften Chats, über die wir nicht unterrichtet waren, oder so was aus dieser Ecke. Aber da wir die Reise aus unserer eigenen Kasse bezahlen mussten, bin ich schnell von diesen Bedenken abgekommen. Junge, Junge, das war schon ein ordentlicher Batzen Geld, den wir hinlegen mussten. Dabei kriegten wir den Fahrer sogar kostenfrei gestellt. Er gehörte zum Haushalt der Jane und wurde darüber entlohnt. Johann hieß er. Den Nachnamen kann ich mir nicht merken, irgendwas mit von Fuldabogenhorn oder so ähnlich. Deutsche Abstammung und des Deutschen mächtig. Das war praktisch, weil nicht jeder aus der Truppe so bewandert im Englischen ist wie ich.

Die Route 66 ist fast 4000 Kilometer lang, sie beginnt in Chicago, endet in Los Angeles und durchquert sieben US-amerikanische Bundesstaaten.



„Woas? Die ganze Zeit im Auto sitzen?‟, hat die Fendy gemeckert.
Ja, genauso war es gedacht. Unterwegs guckt man aus dem Fenster und bewundert die Landschaft. Übernachtet wird in Motels am Wegesrand. Ab und zu macht man kleine Ausflüge, um die Sehenswürdigkeiten der Umgebung zu würdigen. Die Luna hatte schon was Hübsches rausgesucht. Jetzt mussten nur noch die Mitreisenden zusammengestellt werden. Außerplanmäßig gab es zwei Bewerbungen. Die Fendy war der Meinung, dass diesmal unbedingt der Mörßel mitfahren müsse („Nicht wahr?‟ *Plink, plink*), aber das habe ich zu verhindern gewusst (hihihi, das teure Telegramm zwecks Abholung des Lottogewinns von 100.000 Euro in Sachsen war's mir wert). Der zweite Aspirant war der Lütte Emil. Er hätte frei gekriegt vom Luke und auch vom Jack, und er wäre rasend gern mit seiner Tante Polly in den Urlaub gefahren, doch für einen weiteren Hund war kein Platz mehr vorgesehen, weil der Skylark nicht gerade ausladend ist und wir den Platz im Kofferraum brauchten für die Kühlboxen mit Pollys Leberwurstbällchen.
„Aber ich bin doch gar nicht so dick‟, hat er geheult. „Und mein Schlafanzug ist ganz dünn. Ich brauche nicht viel Gepäck.‟
Nix da. Die medizinische Versorgung hatte Vorrang. Außerdem wollte man unterwegs ja auch mal die Glieder von sich strecken. Drei Hunde in einem Cabrio waren schon voluminös genug.

Ende September fanden wir uns vollständig am Flughafen in Hamburg ein. Jeder durfte nur einen kleinen Rucksack mitnehmen und ein Stück Handgepäck nach Wahl. Die Cora hatte ihre Digicam um den Hals gehängt, die Luna hielt ihre rote Collegetasche in der Pfote (wen wundert's?), der Lütte Bonaparte hatte seinen Proviantbeutel (ohne Aufschrift) aus Monte Carlo dabei (noch leer), die Polly trug bereits die Schirmmütze, die jeder von uns gekriegt hatte zum Schutz vor Wind und Sonne, der Karlsson wedelte mit einem Schleswig-Holstein-Fähnchen, die Fendy hielt einen großen Kulturbeutel mit Parfüm und Sonnencreme vor die Brust gedrückt und ich ging natürlich ohne alles. Ich muss mir nichts notieren. Ein wahrer Journalist macht alles aus dem Gedächtnis. Außerdem hatte ich mir diesmal etwas Besonderes ausgedacht. Warum muss eigentlich immer ich allein die ganze Arbeit machen? Sollen die andern doch auch mal berichten. Jedem habe ich einen Abschnitt zugeordnet. Immer reihum würde ein anderer von der Etappe erzählen.

Zunächst guckte mich alles blöd an.
„Was labert der Blaue da?‟, hieß es.
Ja, ihr habt richtig gehört. Ihr macht jetzt auch mal eure Hausaufgaben. Nennt es meinetwegen Tagebucheintragungen. Wenn sich einer weigert, gibt’s gar keinen Reisebericht. Ich streike, ich lege meine Füße hoch und lass mich überraschen. Seid mal kreativ. Schreibt auf, was ihr seht. Ich sammele alles und am Ende wird es veröffentlicht.

Hui, da wurde aber die Stirn gerunzelt, die Fendy zog einen Flunsch.
„Gut pariert‟, hat mir der Karlsson auf dem Weg ins Flugzeug zugeflüstert.
Ein wahrer Gutsherr erkennt Führungsqualitäten sofort.
„Wann bin ich dran?‟, wollte der Lütte wissen.
Er hatte in der kurzen Zeit in der Wartehalle zwei Mandarinen, eine Tüte Erdnüsse, einen Snickers und einen Nuckel zusammengeklaut. Immerhin. Hinter uns plärrte ein Kleinkind. Na ja, ein bisschen Schwund ist ja immer.

Nach etwas mehr als zehn Stunden sind wir in Chicago gelandet. Johann holte uns ab, noch nicht im Skylark, aber in der Limousine. Wir wurden ins Hotel gebracht. Den Tag hätten wir zum Sightseeing zur freien Verfügung, erst am nächsten Morgen sollte die eigentlich Reise beginnen. Da wir uns in einer Großstadt befanden und die Fendy mit dem Urbanen mehr anfangen kann als mit dem Ländlichen, habe ich ihr das Berichten der ersten Station übertragen. Aufgepasst! Liebe Leser, ich übergebe jetzt an die grüne Nuss. Sie wird den Staffelstab weitergeben, bis alle dran waren. Wenn etwas nicht so ausfallen sollte wie erwartet – ich bin nicht schuld daran.

Hallo, meine Lieben. Hier ist eure Influencerin Fendy mit ihren exklusiven Eindrücken aus der Millionenstadt Chicago. Meine Freundin Cora wird mich begleiten und dabei die Fotos machen. Ich trage heute „Sweet Havanna‟ von Enzo Catapulto, einen frischen Duft nach Mango und Seealgen, und den dunkelblauen Krallenlack „Nr. 24‟ von Pistazia. Auch die Polly und die Luna kommen mit. Ihr kennt das, Mädels auf Tour sind so funny, das ist absolut nice, da hat man den totalen Spaß. Der Rest setzt sich zusammen aus einem gelockten Rüden, einem größeren Rüden in Schwarzweiß und einem blauen Angebervogel, der ständig die Klappe aufreißt. Man kann das Trio getrost ignorieren, wenn man will. Ich hege ja immer noch die Hoffnung, dass man Jungs ein bisschen Kultur und Lifestyle beibringen kann. Kennt ihr das auch? Schreibt es mir unten in die Kommentare.

Erst mal haben wir uns die berühmte Skulptur von Anish Kapoor angeschaut. Sie steht im Millenium Park und glänzt ganz wunderbar. Sie wird wegen ihrer Form auch „Die Bohne‟ genannt.

Kidneybohne, nicht wahr?


Die Luna wollte unbedingt dahin, weil sie doch als examinierte Reisemanagerin solche Sachen sammelt. Dazu hat sie ein Büchlein, das sie aus ihrer weinroten Collegetasche holt (echt Leder und mit stylischem Möhrchenfutter!), damit sie später die Kunden beraten kann, was man sich unbedingt anschauen muss und was man am besten lässt. Ich fand die Bohne gut, weil ich mir davor den Lidstrich nachziehen konnte. Das war wie ein großer Spiegel. Stellt euch vor, der Karlsson, der mich und den Boff meistens in seinem Nacken trägt, weil wir doch so zarte Beine haben, wollte erst gar nicht anhalten, sondern gleich an einen Stand mit Streetfood weiterlaufen. Dem habe ich aber was erzählt! So geht’s ja nun nicht. Futtern konnten wir später noch. Trotzdem mussten wir warten, bis es weiterging. Der Lütte Bonaparte hatte sich nämlich mit der Polly abgesetzt. Die Cora musste sie suchen gehen. Aus der Luft konnten sie gesichtet werden an einem Stand mit Souvenirs. Die Polly probierte gerade eine silberne Bohnen-Halskette an und der Micky guckte zu. Als sie wieder aufgeschlossen hatten, kriegte der Karlsson Hot Dogs aus dem Proviantbeutel serviert. Er grunzte zufrieden. Wie steht ihr zu den Tischmanieren eurer männlichen Reisebegleiter? Das würde mich mal interessieren. Schreibt es mir unten in die Kommentare.

Durch den Millenium Park zu laufen, wurde leider abgelehnt. Rasenflächen mit Grünzeug habe man schließlich auch zu Hause, hieß es. Na gut, dann ging es eben gleich aufs Wasser. Ja, ihr habt richtig gehört. Mitten in der Innenstadt zwischen den Wolkenkratzern fließt ein Fluss. Es ist der Chicago River. Dort kann man Sightseeing-Touren machen. Ich persönlich finde ja Modefotos auf Booten ganz besonders charmant, weil das glitzernde Wasser und der blaue Himmel dem Ganzen einen besonderen Touch verleihen. Tatsächlich hat die Sonne geschienen wie für meinen Content gemacht. Die treue Cora hat viele, viele wunderbare Fotos von mir geschossen. Wenn der Boff mich lässt, kann ich sie euch gern mal auf seinem Blog zeigen.

Der Chicago River: bisschen wie Lego


Die andern haben an der Reling gesessen und die vorbeiziehende Architektur begutachtet. Die Bootsfahrt dauerte 45 Minuten. Es ist schon irre, wenn man links und rechts das Großstadttreiben sieht mit den vielen Autos und den Menschen unterwegs, aber man selbst genießt das totale Urlaubsfeeling. Man fährt unter mehreren Brücken hindurch. Der Lütte hat sich jedes Mal den Spaß gemacht und versucht, eins der vielen Hot-Dog-Brötchen, die der Karlsson übriggelassen hatte, mit der Mayonnaiseseite von unten gegen die Brückendecke zu werfen. Leider ist es nie kleben geblieben, sondern wieder runtergefallen, einmal einer Frau auf die Frisur und einmal einem Mann in die Hoody-Kapuze. Wir haben uns schnell weggedreht, damit kein Verdacht auf uns fiel. Mir ist das peinlich, wenn man mit solchen Honks unterwegs sein muss. Wir Mädchen sind da viel gesitteter und achten darauf, wie man uns in der Öffentlichkeit wahrnimmt. Seid ihr auch der Meinung? Schreibt es mir unten in die Kommentare.

Anschließend haben wir eine dreistündige Pizzatour mit dem Bus gemacht. Natürlich kam die Idee von den Jungs. Frauen sind nie so verfressen. Ich wäre ja lieber shoppen gegangen. In Chicago gibt es grandiose Geschäfte mit den süßesten Klamotten und dem herrlichsten Make up. Aber immerhin würde sich auf diese Weise das Thema Abendessen erledigen; man muss praktisch denken. Auf der Pizzatour fährt man verschiedene Stadtteile ab, während ein Fremdenführer einem was über besonders sehenswerte Pizzerien erzählt. Ab und zu hält man natürlich auch an und probiert die Pizza. Ich mochte die mit Ananas am liebsten. Hahaha, der Karlsson hat dem Boff erzählt, dass das Oliven seien, die grünen Gnubbel dort zwischen dem Schinken; dabei waren es Jalapeños. Dem Boff sind fast die Augen rausgeglubscht. Den Schnabel hat er aufgerissen und nach Luft gejapst. Es gab dann noch Ärger, weil er ungefragt den Kopf in ein Bierglas gesteckt hat, um sich zu kühlen. Das Glas gehörte einem Touristen, der das unhygienisch fand. Wir haben ihm das Bier bezahlt. Da war Ruhe, aber jetzt müffelte der Boff die ganze Zeit nach dieser ekeligen Hopfenbrühe. Warum müssen Kerle immer so primitiv sein? Habt ihr das auch schon festgestellt? Schreibt es mir unten in die Kommentare.

Am Ende der Tour waren wir pappsatt. Der Luna hingen Käsefäden im Brustfell, die Polly musste dauernd rülpsen. Daheim im Hotel schüttelte der Lütte seinen Proviantbeutel aufs Parkett. Zum Vorschein kamen ungelogen sieben Stücke American Cheesecake und zwei Tütchen Ketchup. Dabei waren wir in keiner Konditorei gewesen. Dem Lütten ist es wichtig, dass er das Erbe vom Pit  fachgerecht weiterführt.
„Na, war ich gut?‟, hat er gefragt und fröhlich die Zunge wippen lassen.
„Ja, mein Kleiner, du warst großartig‟, hat die Polly geantwortet und ihm anerkennend über den Kopf gestreichelt.
„Na ja ...‟, kam es vom Boff.
Natürlich. Dem Meckerheini kann man es nie recht machen. Der Lütte gibt sich so viel Mühe beim Organisieren, aber vom Boff und vom Karlsson kommt immer nur Kritik. Je-des Mal. Das macht den armen Jungen ganz verzagt. Man muss die Leute aufmuntern, wenn man Erfolg sehen will. Ich finde, gegenüber früher, als der Micky nur Servietten und klebrige Bonbons heimgebracht hat, kann sich seine Ausbeute heutzutage durchaus sehen lassen.
„Mach nur weiter so‟, habe ich ihn getröstet. „Vielleicht kannst du ja auch mal einen Lippenstift mitbringen oder eine Parfümprobe.‟

Abends waren wir eingeladen – von Joan, unserer Spenderin des Wagens, mit dem wir auf die Route 66 gehen würden. Ich war schon mächtig gespannt. Vom Karlsson war ja nicht viel gekommen als Aufklärung. Nach einer erfrischenden Dusche und dem Auftragen eines diskreten Make ups mit „Ecxentric Whisper‟ von Truckholme & Hoshwitz und des hellblauen Lidschattens „Nr. 6‟ von Jupita ging es in eine Bar. Den Boff hatten wir selbstverständlich vorher gründlich abgespritzt, damit er nicht mehr nach Bier miefte. Wow! Ich kann euch sagen, alles glitzerte golden zwischen gediegenem dunklen Holz und raumhohen Gemälden an den Wänden. Und dann kam die Joan rein, geschritten wie eine Königin, umhüllt von einem nachtblauen Satincape: Ein ganz, ganz reizendes Mädchen, eine Cocker-Spaniel-Hündin mit den seidigsten Ohrlappen, die ich je gesehen habe.

Wir stellten uns nacheinander vor. Der Karlsson umarmte die Joan. So was habe ich noch nie bei ihm gesehen bei einer fremden Frau. Ob die mal was miteinander hatten? Manche alten Gewässer sollen ja tief sein. Wer weiß? Geschmack hätte er jedenfalls. Und großzügig ist die Joan auch. Sie hat alle Getränke bezahlt. Die Cora hat sich gleich die Karte kommen lassen. In den nächsten fünf Stunden hat sie mit geschlossenen Augen in regelmäßigen Abständen (die zunehmend kürzer wurden) mit der Kralle irgendwohin getippt, und das hat sie dann bestellt. Eine ganze Armada aus Gläsern mit buntem Zeugs und Strohhalmen zog an ihr vorbei. Da konnte ich nicht mithalten. Beim dritten Cocktail meinte ich die Joan mit den Ohren winken zu sehen. Oh-oh, da war Schluss für mich. Die Luna hat sowieso nur Orangensaft getrunken, der Lütte kriegte eine Limo, die Polly durfte nur an einem Prosecco nippen wegen der Medikamente, die sie kurz vorher genommen hatte, und der Karlsson und der Boff blieben beim Whiskey.
„Warum krieg ich die Kinderplörre?‟, hat sich der Lütte beschwert. „Ich bin auch ein Mann, ich will auch Schnaps.‟
„Gommd gar nich in Wrage‟, hat der Boff gelallt.
In seinen Reiseberichten, in denen natürlich immer nur er selbst zum Besten gibt, was angeblich vorgefallen sei, kriegt man sonst wenig zu hören von seinen Entgleisungen. Das ist ja alles nur einseitig aufgetischt, immer gerade so, dass er gut dabei wegkommt. Oder was glaubt ihr, was alles wahr ist an seinem Geschwätz? An diesem Abend jedenfalls war er hackevoll. Ich habe mich so geschämt vor der Joan. Sie muss gedacht haben, dass sie einen großen Fehler begangen hat, uns ihr teures Cabriolet zur Verfügung zu stellen. Der Karlsson wenigstens konnte noch fehlerfrei Witze erzählen. Zu jedem ließ die Joan ein perlendes Lachen erklingen, so als amüsierte sie sich prächtig. Es war ja auch lustig, zumindest wie die Luna von ihrem Kunden, dem Regenwurm („Dry Harry‟), erzählte, der unbedingt Urlaub in der Sahara machen wollte, und die Polly jonglierte gekonnt das Schälchen mit den Salzpistazien auf der Nasenspitze, ohne dass es runterfiel. Der Blaue schnarchte unterdessen unterm Barhocker. Später haben wir ihn eingesammelt und dem Lütten Bonaparte in den Nacken gesetzt. So erreichten wir das Hotelzimmer. Es war um Mitternacht. Die Joan hat uns vor dem Hotel verabschiedet: Schöne Reise, der Skylark käme morgen früh um acht, bis dann also in Los Angeles.

Ja, bis dann, tschüs. Die erste Station hatte sich schon mal gut angefühlt. Chicago ist eine Reise wert, nur müsste man viel mehr Zeit haben, um sich alles genauer anzuschauen. Zu schade, dass es mit dem Shoppen nicht geklappt hat. Wenn man schon mal ein paar Jungs dabei hatte, die gut zu gebrauchen gewesen wären, all die Tüten zu tragen, dann war es eigentlich eine Sünde, solch eine Gelegenheit verstreichen zu lassen. Oder was meint ihr, liebe Leser? Kann man es wagen, Chicago ohne Frucci-Tasche und Oliv-Santa-L'Oronge-Puder zu verlassen? Schreibt es mir unten in die Kommentare.

Ansonsten verweise ich gern auf meinen Lifestyle-Kanal „One Fency Day with Fendy‟. Dort findet ihr auch die Adressen, wo ich mein Parfüm und mein Make up gekauft habe.

Oh, là là, der Skylark. Was für ein Meisterwerk der Designkunst. Ich gebe es zu, ich hatte weiche Knie, als wir vor dem Hotel standen und Johann mit dem schönsten Auto der Welt um die Ecke kam. Schaut euch das an, diese Linien, der Kühlergrill, das Lenkrad, die Ledersitze, die Poesie der Radkappen, der Charme des Lacks – perfekt.



Der 53er Buick Skylark: Der Karlsson war schockverliebt


„Ist das etwa Mokkabraun?‟, hörte ich hinter mir die Cora auflachen.
Da hätte ich am liebsten alles hinschmeißen wollen. Und wenn der Wagen drei Mal stachelbeergrün gewesen wäre oder currygelb, hätte das nichts geändert. Ein Skylark ist ein Skylark und bleibt ein Skylark, viel zu schade für Insassen, die nicht im Entferntesten zu schätzen wissen, was man ihnen bietet. Und wie sich alles reindrängelte, ohne jede Ehrfurcht, ohne jeden Respekt, wie beim Schulausflug in die Seilgondel. Widerlich, wie man sich niederflegelte aufs heilige Leder. Die Rucksäcke flogen hinterher. Ich mochte gar nicht hinschauen. Mir tat's in der Seele weh.
„Kommst du nicht?‟, wurde ich schließlich von der Polly aufgefordert.
Ich durfte vorne Platz nehmen neben dem Johann. Der zumindest trug eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und ein Sakko. Stilecht. Danke, Mann, du hast mir den Lebensmut zurückgegeben.

Nachdem sich hinter mir alles zurechtgewurschtelt hatte (Proleten!), ging es endlich los. Wir machten uns auf den Weg nach Springfield. Hier in Chicago hatte die Route 66 1926 ihren Anfang genommen. Die meisten Abschnitte der Strecke allerdings sind in den 1960er und 70er Jahren durch Interstates ersetzt worden. Die sind natürlich viel breiter und schneller als die historische Strecke, die zudem oft mitten durch die Städte führte. Dort war die Route 66 dann die Hauptstraße im Stadtzentrum. Heute sind nur noch wenige Originalstücke vorhanden (und die vor allem im Westen), aber man kann, wie man an uns sieht, durchaus der Geschichte folgen, wenn man hier und da ein paar Abstriche macht.

In Illinois war das Feeling noch nicht ganz so prickelnd. Die Landschaft war zunächst städtisch, und als wir aus Chicago herauskamen, landwirtschaftlich geprägt mit Verweisen an Bekanntes aus Norddeutschland. Außerdem regnete es. Zu blöd, wir mussten mit Verdeck fahren. Die blaue Schnarchnase hatten wir übrigens in einen Waschlappen gesteckt und in eine Tupperdose gelegt. Gebechert hatte der Piepsi gestern Abend in der Bar ohne Sinn und Verstand, und damit er uns jetzt nicht vom Sitz rollte oder gar in den Wagen kotzte, hatten wir ihn in den Plastikverschlag gesperrt. Ich glaube, er hatte noch gar nicht mitgekriegt, dass wir bereits unterwegs waren. Die Cora dagegen, ihres Zeichens Schwarze-Gürtel-Trägerin im Cocktailsaufen, war lebendig, wach und aufnahmefähig, allerdings nur wenig kommunikativ und sehr durstig. Da wir gebeten worden waren, im Wagen nicht zu essen und zu trinken (jawoll! Richtig so!), mussten wir dauernd anhalten. Die Cora ist dann rausgelaufen, meist mit der Luna im Schlepptau, die sich bei der Gelegenheit über den Zustand der Tankstellen und Diners an der Strecke informieren wollte. Nachdem die Cora eine Flasche Wasser in sich hineingeschüttet hatte, kamen die beiden zurück, wir fuhren weiter – und mussten gleich wieder anhalten, weil die Cora nun zum Klo musste. Leute, nach Springfield waren es nur etwas mehr als drei Stunden Fahrt – normalerweise, aber wenn man so rumtrödelte wie wir, zog sich natürlich alles zäh in die Länge. Um das Maß voll zu machen, stimmte die Polly jetzt ein Lied mit dem Lütten Bonaparte an (es war „Old McDonald had a farm‟) und die Fendy kramte ihr Deo heraus und sprühte damit herum.
„Ist „Ocean Breeze‟, wurde mir gesagt, als sei das eine Erklärung.
Ich fühlte mich müde, so müde. Man hätte gut die Beifahrertür öffnen können, ich wäre herausgefallen und dort liegengeblieben, dankbar, allein sein zu dürfen, ohne Belästigung von kulturlosen Gestalten, die den Skylark entehrten mit „Ia-Ia-Jo‟, stinkenden Industriedüften oder ungezügelten Körperfunktionen. Der Boff schnarchte noch immer in seiner Tupperdose. Irgendwann erreichten wir Springfield.

Die Stadt hat gut 100.000 Einwohner. Trotzdem ist sie die Hauptstaat des Bundesstaates Illinois (und nicht etwa Chicago). Um 1818 wurde Springfield von Weißen besiedelt. Später erlebte der Ort eine gewisse Popularität, weil sich kein Geringerer als Abraham Lincoln hier niederließ. 1837 gründete er hier mit einem Partner eine Kanzlei. Er wohnte in Springfield, sein Grab befindet sich ebenfalls im Ort. Wir sind natürlich hingefahren zum Haus. Man konnte es besichtigen. Gegen ein bisschen die Beine vertreten hatte keiner etwas einzuwenden. Die Tupperdose mit dem Blauen haben wir im Wagen gelassen. Johann war ja noch da.

Springfield: Hier hat Abraham Lincoln gewohnt


Innen drin empfing uns grelle Plüschigkeit: wildgemusterte Tapeten, Teppiche, Bettüberwürfe. Dazu Stühle mit Schnörkelfüßen, Wanduhr, Kerzenleuchter. Na ja, old America eben, nicht wahr?
„Nicht anfassen!‟, musste ich den Lütten ermahnen.
Er hatte an einer Vorhangkordel gezogen. Essbares war hier nicht zu finden, also blieb auch sein Proviantbeutel leer. 

In der Innenstadt war's etwas diesig

 
Später kehrten wir in einem einfachen Straßenrestaurant ein. Hier gab es Steaks mit Bratkartoffeln für uns Hunde, einen Salatteller für die Luna und eine Pizza Margherita für die Cora und die Fendy. Meister Piepsi schlummerte noch immer den Schlaf der Abgestürzten. Johann bezahlte für sich allein und hatte daher immer frei, so lange wir irgendwo einkehrten oder – später – in einem Hotel unterkommen sollten. So war es gut geregelt, denn immer mit einem Fremdem um einem herum ist es doch ein wenig anstrengend, obwohl Johann ein angenehmer Mensch war, ruhig und schweigsam.

Nach dem Mittagessen ging es weiter zur nächsten Etappe.
 
 
Dass ich das noch erleben darf! Halleluja! Seit ungefähr achtzehn Jahren gehe ich auf Reisen, früher mit dem Max, jetzt mit dem Boff. Wir sind weit herumgekommen und haben viel gesehen, aber wenn's ans Berichten ging – zu melden hatte ich nichts. Natürlich hätte ich so manches geradegerückt und so manche Unwahrheit entlarvt, wenn man mich nur gelassen hätte. Aber nein, die Herren Berichterstatter, ob grün oder blau, haben ja immer nur ihre eigene Wahrheit im Sinn. Schlimm ist das, moralisch verwerflich. Umso dankbarer bin ich, dass ich endlich, endlich auch mal was sagen darf.

Fangen wir gleich damit an. Der Blaue hatte sich in Chicago in der Bar derartig abgeschossen, dass er die Abreise auf die Route 66 glatt verpennt hat. Wir führten ihn in der Tupperdose mit. Natürlich habe ich Beweisfotos geschossen, wie er da auf dem Rücken liegt mit aufgeklapptem Schnabel. Ich weiß, wovon ich rede. Andernfalls hieße es später, das wäre ja alles gar nicht wahr gewesen.

Wir waren nun auf dem Weg von Springfield nach St. Louis. Es war später Mittag und wir hatten eine kurze Strecke von nur eineinhalb Stunden Fahrt vor uns. Das Cabrio, das noch immer keins war, weil wir noch immer mit Verdeck fahren mussten, war ganz hübsch, allerdings ziemlich eng. Im Kofferraum lagerten die Kühlboxen mit den Leberwursttabletten für die Polly. Es handelte sich um den jeweils aktuellen Bedarf. Den Rest zum Austauschen vor Ort hatte die Luna an die späteren Stationen liefern lassen. Wir brauchten dann nur noch die neuen Boxen einzuladen und die leeren gingen zurück. So was beherrscht die Luna meisterhaft. Das hatte sie schon auf unserer Reise nach Monaco bewiesen. Sie ist ein wahres Organisationstalent.

Erschwerend zu der natürlichen Enge im Wagen kam hinzu, dass wir uns die Rückbank mit zwei Hunden teilen mussten, dem Lütten Bonaparte und der Polly. Wir zarten Geschöpfe drohten da schon mal unterzugehen. Keiner konnte daher verstehen, warum der Karlsson so versessen darauf war, die Tour ausgerechnet mit diesem alten Sportwagen zu machen, wo es doch bequemere Limousinen gibt. Finanziell hätten wir uns das durchaus leisten können. Er schwärmte schon seit Hamburg vom Skylark. Seit dem Einsteigen vorm Hotel in Chicago war er allerdings verstummt, obwohl wir ihn extra hatten vorne sitzen lassen.
„Geht's dir nicht gut?‟, hatten wir uns erkundigt.
Ein nichtssagendes „Pff‟ war lediglich als Antwort gekommen. Ich glaube, er war genervt, weil wir ihn bei der Kontemplation störten. Er als Gutsherr ist es gewohnt, schöne Dinge auf sich wirken zu lassen. Da störte es natürlich, wenn die Polly einen herumzischenden Luftballon nachmachte oder wenn wir laut aufkreischen mussten, weil es so lustig war, wie die Luna von dem Grashüpferverein erzählte, der eine Gruppenreise in die Everglades gemacht hatte und sich dann beschwerte, weil die Big Foods dauernd nach ihnen gegrapscht hatten. Lärmende Ausgelassenheit ist halt der Feind stiller Anbetung. Ich hoffe, dass sich der Karlsson im Laufe der Fahrt entspannen wird. Ein Auto ist unterm Strich eben doch nur ein Gebrauchsgegenstand. Meinetwegen durfte er ruhig vorne sitzen bleiben.

Mit St. Louis in Missouri kamen wir langsam in die Gegenden, die ihre Besiedlung vor allem dem Bau der Eisenbahn verdankten. Hierzu war St. Louis ein Knotenpunkt gewesen. Von hier aus wurde die weitere Erschließung des Westens vorangetrieben. Heute hat die Stadt 300.000 Einwohner. Sie liegt am Mississippi. 1764 hatten französische Händler den Ort gegründet und nach König Ludwig IX. benannt. 1803 wurde die Stadt den Vereinigten Staaten angegliedert. 100 Jahre später (1904) war St. Louis Gastgeber der Olympischen Spiele. Heute ist die Stadt von Industrie geprägt, besonders von der Automobilherstellung. Vielleicht ist das der Grund, warum der Mississippi inmitten der Stadt nicht immer postkartenblau erscheint, sondern bräunlich, so wie hier: 

St. Louis am Mississippi

 
Der Bogen auf dem Foto heißt "Gateway Arch" und ist mit seinen 192 Metern Höhe das größte von Menschen geschaffene Monument in den USA. Es besteht aus Edelstahl und Beton. Gewidmet ist es Thomas Jefferson und der Erinnerung an die Erschließung des Westens, bei der St. Louis, wie schon angemerkt, eine tragende Rolle spielte. Man kann den Bogen besichtigen. Oben drin befinden sich unter anderem eine Rundum-Aussichtsplattform und ein Museum. Die Luna und der Lütte Bonaparte wollten unbedingt nach oben fahren, aber wir haben es uns dann doch verkniffen, weil der Karlsson ja nicht höhentauglich ist und wir Angst hatten, dass er für die nächste Zeit noch misslauniger werden könnte als jetzt schon. Außerdem war auf der Fahrt zum Bogen der Boff aufgewacht. Er hatte (mit einer Unterbrechung für die Toilette) ganze 16 Stunden geschlafen. Jetzt stand er mit zerzaustem Gefieder in der Tupperdose und guckte blöd.
„Wo bin ich?‟, hat er heiser gefragt.
Mit der Information „St. Louis‟ konnte er offenbar wenig anfangen.

Zunächst musste er mal ordentlich gewässert werden. In einer Seitenstraße haben wir angehalten, wir haben den Boff auf den Gehweg gekippt und die Luna hat ihm aus einer Wasserflasche zu trinken gegeben. Augenblicklich legten sich die abstehenden Federn wieder an und Leben kehrte in den kleinen Körper zurück. In Mickys Proviantbeutel fand sich noch ein Apfel, den der Karlsson für ihn geschält hat. So gestärkt konnte der Invalide wieder einsteigen und die Fahrt konnte fortgesetzt werden. Damit sich Karlssons Laune besserte, haben wir den Blauen zu ihm nach vorne gesetzt. Das Konzept ging auf. Heimlich haben wir uns auf der Rückbank abgeklatscht – yeah! –, denn in der kurzen Zeit, bis wir am Bogen ankamen, hatte der Karlsson dem Boff die gesamte Schönheit des Skylarks vorgeschwärmt. Es sprudelte nur so aus ihm heraus. Als wir ausstiegen, um uns den Bogen von unten anzuschauen (wenigstens das), hörte ich, wie der Blaue die Luna beiseite nahm:
„Was habt ihr dem Mann zum Frühstück gegeben? Ich will hinten sitzen, sofort!‟

Einen Stadtrundgang durch die Geschäftsstraßen haben uns gespart, sehr zum Ärger der Fendy, die noch immer nicht verstanden hatte, dass sie den ganzen Kram sowieso nicht mitnehmen dürfte, wenn sie denn zum Shoppen käme. Die Beladung unseres Gefährts war bekanntlich limitiert. Man kann die Fendy aber schnell besänftigen, indem man sie zum Posieren auffordert und ein paar hundert Fotos schießt. Im Hintergrund leuchtete der Gateway Arch schick im Sonnenschein. Sie konnte es gar nicht abwarten, abends ins Hotel zu kommen, damit der Marcel die Fotos auf ihrem Kanal einstellen könnte.

Als Nächstes stand der Missouri auf dem Plan. Damit war natürlich der Fluss gemeint, nicht der Bundesstaat, in dem St. Louis liegt. Hier vor Ort fließt der Missouri nämlich in den Mississippi. Genauer gesagt macht der Missouri eine Schleife um St. Louis herum und vereint sich dann im Stadtzentrum mit dem andern Fluss. Zwar kann man auf beiden Flüssen Bootsfahrten unternehmen, aber da wir nicht schon wieder eine Innenstadttour machen wollten, sondern es gern ein wenig grüner hatten, war die Entscheidung auf ein zweistöckiges Dampfschiff gefallen, das man am Missouri besteigen konnte. Am Ufer waren Wiesen und nette Wohnviertel zu sehen. Weil die Sonne schien, durften wir auf der Hinfahrt erstmals das Verdeck aufklappen. Ah, sofort stellte sich ein Gefühl der Weite ein. Der Karlsson legte seinen Kopf in den Nacken, schloss die Augen und atmete tief durch. Er war, wie sich bald herausstellen sollte, auf dem Weg der Besserung. 

Ausflug auf dem Missouri

 
„Oh, das sieht ja aus bei bei Huckleberry Finn!‟, hat der Lütte gerufen, als er den Dampfer sah.
Na ja, nicht ganz. Bei Tom Sawyer und Huck Finn handelte es sich, glaube ich, um einen Schaufelraddampfer, aber sonst mutete unser Kahn durchaus originell an. Die Geschichten kannte der Lütte fast auswendig, weil die Polly sie ihm vorgelesen hatte (bestimmt weil auch dort eine Tante Polly drin vorkam; so was inspiriert manchen). Jetzt schritt er ehrfürchtig die Gangway hinauf und war so beeindruckt von der Flussfahrt, dass er wie angenagelt sitzen blieb und ganz vergaß, im Ambiente seinen Proviantbeutel zu füllen. Prompt erntete er Kopfschütteln vom Karlsson und vom Boff. Seit Letzterer von den Aussortierten zurückgekehrt war und der Karlsson im Blauen einen Seelenverwandten von Skylark und Oben-ohne-Reisen gefunden zu haben glaubte, steckten die beiden dauernd zusammen und mäkelten am Micky herum.
„Ihr seid vielleicht fiese Stinkstiefel‟, hat sich die Polly empört. „Macht's doch besser, statt nur zu meckern.‟
„Nö‟, haben sich die beiden angestoßen und gelacht. „Wir sind ja keine Azubis, wir sind die Prüfer. Micky! Antreten! Vorzeigen! Hahaha.‟
Unglaublich. Manchmal glaube ich wirklich, dass Kerle eine Entgleisung der Natur sind. Ihren Humor verstehen allenfalls noch zwei Mistkäfer hinterm Bananenschalenhaufen am Amazonas. Und die heißen Boffson und Karloff.

Nach einer Stunde beschaulicher Fahrt hat uns Johann wieder abgeholt. Es ging direkt ins Hotel zu unserer ersten Nacht auf der Etappe. Wir haben uns das Abendessen aufs Zimmer bringen lassen: Steaks und Hamburger für die Hunde, eine Minestrone für die Luna und die Fendy und eine Art Käseauflauf mit Nudeln für den Boff und mich. Danach haben wir ferngesehen, irgendeinen alten Schwarzweiß-Film. Die Schauspieler trugen Anzug und Hut und die Schauspielerinnen Wasserwelle und spinnenbeindünne Augenbrauen.
„Oh-Gott-oh-Gott!‟, hat sich die Fendy geschüttelt.

Rausgehen durften wir nicht, weil die Luna gesagt hatte, dass sie es doof fände, wenn sich schon wieder einer besaufen würde. Der, den es betraf, hockte auf dem Kopfkissen und spielte Mau-Mau mit dem Lütten Bonaparte. Wir sind dann auch bald schlafen gegangen. So eine Reise schlaucht ganz schön, obwohl (oder gerade weil) man die halbe Zeit im Auto verbringt. Ich hoffe sehr, dass ich noch einmal drankommen werde mit einer weiteren Etappe, denn ich habe noch einiges zu sagen. Es wird Zeit, dass die Machenschaften und Charakterzüge von gewissen Mitreisenden aufgedeckt werden. 


Gott sei Dank sind alle morgens gut aus den Puschen gekommen, denn die längste Strecke mit über sieben Stunden Fahrt lag vor uns. Wir hatten gut gefrühstückt. Johann steckte um Punkt 8.00 Uhr den Zündschlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Wir durchquerten Missouri leicht schräg nach Süden und nach Westen in den Bundesstaat Oklahoma hinein. Hier war die Landschaft ziemlich durchwachsen. Es gab Täler, Berge und Hügel. In diesen ländlichen Gegenden begegnete uns nicht viel Verkehr. Über weite Strecken waren wir sogar fast allein auf der Straße. Der Karlsson saß vorne im Wagen und warf ab und zu die Vorderpfoten in die Höhe, so wie man es macht, wenn man in der Achterbahn fährt. Ich nehme an, es handelte sich um ein Zeichen der Freude. 

In Oklahoma: Später kam die Sonne raus


Wir fuhren noch immer ohne Verdeck und es war auch nicht kalt. Zum Schutz vor der Sonne trugen wir die Käppis, die jeder von uns gekriegt hatte. Zu schaffen machte uns nur der Wind, genauer gesagt den Vögeln unter uns. Als Johann das erste Mal so richtig Gas gab, als wir die Landstraße erreicht hatten, hob neben mir plötzlich etwas Grünes ab und sauste nach hinten weg. Es handelte sich um die Fendy. Das Ganze war so schnell gegangen, dass die Fendy keine Zeit gehabt hatte, um Hilfe zu rufen.
„Nuss über Bord!‟, schrie der Boff (auf der Rückbank), der sich bei der Polly in die Hüfte gekrallt hatte, um nicht selbst abzuheben
„Aua!‟, kam es von der Belästigten zurück.
Auch die Cora hatte mit der Thermik zu kämpfen. Mit einer Kralle hing sie an irgendeinem Rucksack, während der Rest im Fahrtwind flatterte wie ein grünes Zäpfchen in Vorfreude auf den finalen Flutsch. Natürlich haben wir sofort angehalten. Der Johann hat den Skylark zurückgesetzt. Langsam rollten wir rückwärts.
„Vorsicht!‟, kam die eindringliche Warnung vom Karlsson. „Nicht dass wir die Fendy überfahren!‟
Lange haben wir suchen müssen, bevor wir sie fanden. Schimpfend stand sie vor einem Grasbüschel am Straßenrand und winkte wie blöd.
„Sag doch was‟, hat sie der Lütte Bonaparte empfangen und einen tödlichen Blick dafür geerntet.
Alle waren froh, dass keine größeren Schäden zu beklagen waren. Doch wie sollten derlei Vorfälle in Zukunft verhindert werden?
„Verdeck runterlassen‟, hat der Boff vorgeschlagen.
„Kommt gar nicht in Frage!‟, hat der Karlsson jegliche Zustimmung abgeschnitten.
Nach einiger Diskussion konnte doch noch ein gute Lösung gefunden werden. Wir haben die Gummibänder aus Coras Schlüppis gezogen und drei Sicherheitsgurte daraus gebastelt. Jeder der Vögel kriegte eine Schlaufe umgehängt, die seitlich am Türgriff befestigt wurde. Na ja, nicht wirklich. Sooo viel Gummi gab Coras Reizwäsche nun auch wieder nicht her („Allerdings!‟). Der Rest wurde mit irgendeiner Kordel verlängert, die sich im Handschuhfach gefunden hatte. Nun saßen die Leichtgewichte schön fest, stufenlos festzurrbar nach Bedarf, und konnten uns nicht mehr abhanden kommen.
„Das Band scheuert am Hals‟, hat sich der Blaue beschwert.
„Besser als am Hintern‟, entfuhr es mir (und ich bereue nichts).
Die raffinierte Zugmechanik stammte im Übrigen vom Karlsson. Ich will es nicht unerwähnt lassen. Er profitierte von dem Knotenkurs, den er auf dem Schiff während unserer Monaco-Reise besucht hatte. Daran sieht man: Es ist nie zu spät, um nützliche Fertigkeiten zu erwerben.

Am späten Nachmittag erreichten wir Oklahoma City. Wie man sich denken kann, handelt es sich hierbei um die Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates. Die Stadt hat lediglich knapp 700.000 Einwohner, doch rechnet man das Umland hinzu, sind es weit mehr. Es begrüßte uns eine Metropole mit etlichen Wolkenkratzern. 

Oklahoma City in der Dämmerung

 
Historisch gesehen befanden wir uns längst in Gegenden, deren Besiedlung man zu Ungunsten der einheimischen Bevölkerung vollzogen hatte. Das war im 19. Jahrhundert gewesen. Die Vertriebenen hatte man in Indianerterritorien gesteckt. Das Land um das heutige Oklahoma City allerdings galt als Gebiet, das keinem Stamm zugewiesen war. 1887 eröffnete hier ein Eisenbahndepot und in dessen Folge siedelten sich weiße Amerikaner an. Als man 1928 Erdöl entdeckte, boomte die Stadt. Heute wird hier auch Erdgas gefördert. Man sieht es an den Öltürmen am Stadtrand.

Als Nachmittagsprogramm (für das leider nicht mehr viel Zeit blieb) hatte ich den Besuch eines Rodeos angekündigt, da Oklahoma City auch bekannt ist für seine Cowboykultur. Wir legten daher nur schnell unsere Rucksäcke im Hotelzimmer ab und machten uns auf den Weg zum Stadion.

Wir hatten gute Plätze mit prima Sicht auf die Arena und Popcorn und Limo in großen Bechern, die Verkäufer im Bauchladen herumtrugen. Der Lütte Bonaparte kannte das gar nicht, dass beim Rodeo Cowboys auf Pferden versuchten, mit dem Lasso einen Stier (oder was das war) einzufangen.
„Oh, schick‟, hat er gerufen. „Das sollten sie bei uns auf dem Deich mit den Schafen auch mal machen.‟

Da war was los!

 
Ein anderer, der sich ebenfalls nicht auskannte, war der Boff. Dauernd schrie er „Olé! Olé!‟, bis die Cora ihn freundlich ansprach:
„Halt endlich die Klappe!‟
Mir war das peinlich, aber glücklicherweise kriegte das im allgemeinen Lärm niemand der Umsitzenden richtig mit, da der Blaue ja nur piepsen kann, so sehr er auch Gas gibt. Trotzdem: Muss man sich so aufführen? Ich hätte gedacht, dass die Bildung zu manchen Themen selbst in die Kreise der unteren Regionen vorgedrungen sei.

Draußen vor dem Stadion konnte man an allerlei Ständen und in Fresszelten rustikale Kost erwerben. Ich hatte gelesen, dass in den Südstaaten gern viel und fettig aufgetischt wird. Obwohl Oklahoma noch nicht direkt zu den Südstaaten zählt, sondern zum Rand, war das Angebot hier beängstigend. Auf breiten Grills brutzelten Spareribs und Steaks, wurden Unmengen von Kartoffelpüree und Pommes auf Pappteller gepackt, konnte man sich Sahne und Eis auf Apfelkuchen schaufeln lassen. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass man mich heimlich beobachtete und sich in Gedanken ausmalte, wie wohl Grillkaninchen mit Pfeffersoße schmeckt. Am liebsten wäre ich gegangen. Das ging aber nicht, weil die Hunde sich erst noch versorgen mussten. Für sie war es das Paradies. „Oh‟ und „Ah‟ kam es vom Karlsson, der Polly und vom Lütten. Für uns Vegetarier blieb leider kaum Auswahl, nichts Grünes, kein Salat, kein Obst. Ich hielt meine Collegetasche vor mich her wie ein Schild, damit ich keine Aufmerksamkeit erregte, und schob mich mit den andern voran. Am Ende mussten wir auf Pommes ausweichen, um wenigstens etwas in den Magen zu kriegen, das nicht süß war oder aus Fleisch.
„Sehr lecker‟, fand die Cora und knabberte die Stäbchen weg wie Salzstangen.

Einen längeren Halt gab's dann noch an einem Stand, der Cowboyhüte verkaufte. Die Fendy wollte unbedingt einen haben für ihre Kanal-Fotos. Ewig wurde alles durchgegrabbelt, bis sie zu der Erkenntnis gelangte, dass es keine in ihrer Größe gab. Stattdessen musste die Cora die Fotos vor einem Limo-Stand machen. Auf der Theke saß die Fendy und machte alberne Verrenkungen, so wie es offenbar üblich ist bei Leuten, die wissen, was in ist.
„Können wir jetzt nach Hause gehen?‟, hat der Karlsson gefragt. „Ich muss mich hinlegen, ich muss verdauen.‟
Diesem Umstand war es zu verdanken, dass im weiteren Verlauf des Abends niemand den Lütten Bonaparte überprüfte, was er dazugelernt hätte. Sein Proviantbeutel hing ohnehin auf dem Waschbeckenrand zum Trocknen. Seitdem die Cheesecakes darin verstaut worden waren, hatte die Optik sehr gelitten.
„Ja, hast du denn keinen Ersatzbeutel eingepackt?‟, hat ihn der Boff angeblubbert.
Wenn der mal nicht meckern kann, ist er tot. 
 
 
Endlich darf ich auch mal was sagen. Der Boff und der Karlsson sind so gemein zu mir. Immer muss ich den Proviantbeutel vorzeigen und nie sind sie zufrieden. Einmal habe ich sogar (es war in Chicago) eine superschöne Herrenarmbanduhr mitgebracht. Ich dachte, sie freuen sich, aber nee, ich wurde so was von rund gemacht, dass mir das Fell ganz platt anlag. Wie ich dazu käme, Schmuck zu klauen, haben sie geschrien. Das sei ja Diebstahl, ganz schlimm und sowieso absolut kriminell. Sofort sollte ich die Uhr zurückgeben. Ja, wem denn um alles in der Welt? Hm, ja, gut, dann solle ich sie einem Bettler in den Hut tun. Was meint ihr wohl, wie ich mir die Augen aus dem Kopf geglotzt habe, bis ich einen gefunden hatte? Das war erst am Anlegersteg bei St. Louis. Und wie dankbar der Mann war! Ich wäre schon zufrieden, wenn mir vom Karlsson und vom Blauen nur ein Viertel davon entgegenschlüge. Dabei bin ich schon echt gut. Ich kann saure Gurken aus einem Fass mitnehmen, obwohl wir gerade an einem Schuhgeschäft vorbeigehen. Der Pit hat mich in alle Geheimnisse eingeweiht.

Und dass ich ständig mit Kindergetränken abgespeist werde, ist auch nicht richtig. Ich bin kein Baby mehr, ich bin Jugendlicher und da darf man schon Wein trinken. Die Tante Polly hat auch gesagt, man müsse so was schluckweise lernen, statt ohne Übung gleich beim ersten Mal vom Barhocker zu fallen. Aber sagt das mal den andern. Die Cora schluckt selber wie ein Olympiasieger, doch wenn ich mein Glas auch hinhalte, ist sie strikt dagegen. Sie sagt, sie habe zu Hause einen hocken, der immer wieder ins Knallbirnenheim müsse, und so was wolle sie bei mir verhindern, so lange sie Einfluss darauf habe. Wieso? Der Paule ist doch ein Weiberheld und Heiratsschwindler, kein Säufer. Für Frauen interessiere ich mich nicht. Die miefen entweder total nach Parfüm und wollen dauernd Instagram-Fotos gemacht haben, oder sie schleppen eine rote Collegetasche mit sich und schreiben auf, was in jeder Ecke zu sehen ist, oder sie sind eben selbsternannte Wächter der Jugendpflege. Nur die Tante Polly ist anders. Wenn ich die nicht hätte. Die ist lieb und verständnisvoll und großzügig und lustig. So eine heirate ich später mal. Ich bin nicht gegen Ehe und Familie, im Gegensatz zum Boff und zum Karlsson, die ja all das empört von sich weisen. Ich weiß warum: Keine Frau will sie haben. So ist das nämlich und nicht anders. Wenn man keine abkriegt, behauptet man, man sei nicht interessiert. Bei mir ist das ganz anders. Ich habe eine Brieffreundin. Mehr verrate ich aber nicht. Ich kenne genug Leute, die neugierig sind, und wissen müssen die gar nichts.

So, das wollte ich nur mal gesagt haben.

Jetzt darf ich über unsere Fahrt nach Amarillo berichten. Das liegt in Texas. Die Landschaft ist nicht gerade üppig, weil es sich dort um eine baumlose und trockene Hochebene handelt. Wir sind natürlich offen gefahren. Die Vögel behaupten immer, dass es im Wagen eng sei wegen uns Hunden, die wir so viel Platz einnähmen. Worüber aber niemand redet: Sie fahren gern ihre Krallen aus und stechen um sich herum wie mit fiesen kleinen Schaschlikspießen. So schaffen sie Raum. Daran hindern sie auch ihre Sicherheitsgurte nicht. Den Boff haben wir vorne beim Karlsson angebunden, damit sie sich weiter ungestört über den Wagen auslassen konnten und uns in Ruhe ließen. Wir hatten anderes zu tun, zum Beispiel die Tankstellen zu zählen, an denen wir vorbeifuhren. Manche waren uralt und sahen aus wie aus einer andern Welt.
„Das ist das Route-66-Feeling‟, hat der Karlsson nach hinten gerufen.

Liebevoll gepflegt


Von solchen Gebäuden sahen wir etliche. In einem, wo wir anhielten, hatten sie innen eine Art privates Museum eingerichtet mit Route-66-Zeichen und alten Blechschildern. Das war ganz interessant anzuschauen. Die Pause brauchten wir, um was zu trinken und einen Snack zu essen, weil wir im heiligen Gefährt ja nichts krümeln oder kleckern durften. Für mich war das entspannend, weil ich wusste, dass man mich dann am Abend vielleicht nicht fragen würde, was ich unterwegs gearbeitet hätte. Besonders der Karlsson war abgelenkt. Ich glaube, fast hätte er persönlich an jedem Stopp mit dem Taschentuch den Staub vom Wagen geputzt. Hier in Texas gab es reichlich davon.

Nach fast vier Stunden sind wir in Amarillo angekommen. Dort wohnen 200.000 Menschen. Es war Mittag. Die Stadt wurde 1887 als Eisenbahncamp gegründet und hieß früher „Oneida‟. Woher der Name „Amarillo‟ stammt, ist umstritten. In Lunas Reiseführer steht, dass er vom spanischen „Gelb‟ kommt, aber entweder von den gelben Wiesenblumen, die in der Nähe wachsen, oder vom gelben Sand, mit denen die benachbarten Gewässer umgeben sind. Um 1920 hat man Erdöl und Gas gefunden. Deshalb siedelten sich viele Öl- und Gasgesellschaften an. Aber bekannt ist die Stadt für was anderes, nämlich für ihr Helium. Das ist so reichlich vorhanden, dass sich hier die Heliumreserve der ganzen USA befindet und das Vorkommen auch im internationalen Vergleich mithalten kann. Man nennt Amarillo deshalb auch „Heliumhauptstadt der Welt‟.

Amarillo: flach, heiß mit Grün dazwischen

 
Ums Helium haben wir uns aber nicht näher gekümmert, sondern sind gleich weitergefahren, denn westlich der Stadt befindet sich eines der Sehenswürdigkeiten der Route 66, die Cadillac-Ranch. Hier hat ein reicher Texaner 1974 zehn Cadillacs kopfüber in den Boden stecken lassen. Wer sie angemalt hat, weiß ich nicht. Vielleicht die Besucher?

Cadillac-Ranch: was Buntes in Wüstenlandschaft

 
„Hm, auf was für Ideen die Leute kommen‟, hat sich die Fendy gewundert.
Davor posiert für ihren Kanal hat sie trotzdem. Gut, dass wir die Käppis dabei hatten; die Sonne brannte ganz schön.
„Ist das Kunst?‟, habe ich wissen wollen, aber keiner hat es mir beantworten können.
„Jedenfalls ist es Blech‟, hat die Tante Polly gemeint, und damit hatte sie ganz sicher recht. Sie weiß einfach alles!

Wir näherten uns jetzt den wirklich interessanten Strecken auf der Route 66. Manche Touristen kürzen ja alles ab und fahren lediglich die südwestlichen Abschnitte. Das ist natürlich Beschiss. Wir gehörten bekanntlich nicht dazu, aber eine gewisse Unruhe war jetzt durchaus zu bemerken. Der Karlsson wusste während der Fahrt oftmals nicht, wohin er schauen sollte. Sein Kopf wanderte mal nach links, dann nach rechts, wieder nach links und so weiter.
„Was bist du denn so hektisch?‟, hat die Luna ihn von hinten auf den Nacken getippt.
Neben ihm im Gurt war der Boff eingeschlafen. Ich glaube, der Karlsson sog alles auf, was sich ihm bot. Vielleicht sitzt er dann später zu Hause in seinem Herrenzimmer mit einem Whiskyschwenker in der Pfote und sinniert über den Sinn des Lebens, wobei die Route 66 und das Auto ganz sicher einen Großteil darin einnehmen.
„Das verstehst du noch nicht‟, hat die Cora gesagt. „Lass ihn mal machen. Es schadet ja keinem.‟
Das kriegt man immer gesagt, wenn jemand nicht weiter weiß: „Das verstehst du noch nicht.‟ Ich will gar kein alter Hund sein mit Philosophie. Das wäre mir viel zu anstrengend.

Die Landschaft wurde jetzt wieder freundlicher. Erst Hügel, dann Berge taten sich auf. Da hatte das Auge mehr zu bewundern als im öden Texas. Wir fuhren gleich durch zur nächsten Etappe. Am  späten Nachmittag würden wir dort ankommen. Das Motel war schon reserviert. 
 

Die Luna hat ein bisschen Druck gemacht, dass wir uns beeilten, weil sie in Albuquerque ein Event gebucht hatte.„Toll!‟, hat sich der Lütte Bonaparte vorsorglich gefreut.
Es ist schön anzusehen, wie der Junge seinen Spaß hat. Bei manch anderem fiel die Ankündigung, eine Ballonfahrt über den Rio Grande zu machen, auf weit weniger Begeisterung. Der Karlsson glotze erschreckt.
„Na, das ist aber nicht irgendwas Gewöhnliches, das ist was ganz Besonderes‟, wurde er aufgeklärt. „Jedes Jahr Anfang Oktober treffen sich hunderte von Crews aus aller Welt zur neuntägigen "Albuquerque International Balloon Fiesta". Wir haben einen der begehrten Plätze ergattert.‟
Das war dem Karlsson aber egal. Er schwang nur noch müde sein Schleswig-Holstein-Fähnchen, mit dem er gestern noch lebhaft herumgewedelt hatte. Auch die Vögel hielten sich bedeckt. In den Himmel aufsteigen und von oben runtergucken könnten sie auch so, ohne Korb unterm Hintern, haben sie gemeint. Der Luna schwoll sichtbar der Kamm angesichts dieser Renitenz und Undankbarkeit.
„Dann macht doch, was ihr wollt‟, hat sie geschimpft.

Als wir in Albuquerque ankamen, hatten sich dann doch noch drei Interessenten gemeldet: der Lütte, der ganz versessen war auf das Erlebnis, die Luna selbst und natürlich ich als Begleitung vom Micky. Der Karlsson wollte sich unterdessen dem Johann anschließen, um noch ein bisschen über den Skylark zu fachsimpeln, und die Cora und die Fendy beabsichtigten einen Rundgang durch die Stadt mit Besichtigung der Schaufenster. Blieb nur noch der Boff. Er hatte die Wahl.
„Das ist ja wie die Auswahl zwischen Pest und Cholera‟, hat er gestöhnt.
Am Ende entschied er sich für den Karlsson.

Wie wir später erfuhren, waren sie mit dem Johann zu einer Tankstelle gefahren und hatten zugeschaut, wie der Tankwart den Wagen per Hand gewässert und poliert hat. Für eine Waschstraße wäre die heilige Götterkutsche natürlich viel zu schade gewesen. Der Lack – ein Frevel! Die beiden Mädels auf Stadtrundgang hatten viele Fotos geschossen, die die Fendy gleich in einem Internetcafé dem Marcel hatte zuleiten können. Sie war sehr zufrieden.

Albuquerque: Das Geschnörkelte ist der Rio Grande

 
Wir im Ballon hatten ebenfalls eine spannende Zeit. Mit einem Pulk anderer Ballons sind wir gestartet und eine halbe Stunde lang über die Landschaft geschwebt. Unter uns konnte man den Rio Grande sehen, wie er sich verzweigte und an der Stadt vorbeifloss. Der Name hat Klang. Wer kennt nicht den gleichnamigen Western mit John Wayne von 1950? Es hat schon was, wenn man solche berühmten Sachen, die einem zunächst nur abstrakt vertraut waren, mit der Realität vor Ort verbinden kann. Der Lütte und ich waren glücklicherweise groß genug, um mit den Vorderpfoten am Korbrand zu stehen und darüber hinweg in die Ferne zu schauen. Die kleine Luna hatte es da wesentlich schwerer. Wir mussten einen Aufpreis zahlen, damit der Mensch, der die Gasklappen bediente, die Luna auf den Arm nahm, damit sie auch was zu sehen kriegte außer dem hellblauen Himmel. Später hat sie trotzdem eine positive Rezension in ihr Petzbüchlein geschrieben. Das Event würde sie also weiterempfehlen können.
 
Hier sieht man, dass Albuquerque gar nicht so flach liegt: Ein Gebirge steht dabei


Zum Abendessen haben wir uns wieder mit den andern getroffen. In einem Schnellimbiss haben wir das Übliche bestellt: Fleisch für uns Hunde, einen Kartoffelsalat mit (heiß ersehnten) Gurkenscheiben oben drauf für die Luna und eine Pizza für den Rest. Unser Motel war einfach, aber gemütlich. Als ich mich hingesetzt hatte, um diesen Bericht hier zu schreiben, ist mir aufgefallen, dass ich ja noch gar nichts über die Stadt selbst erzählt habe. Dabei hat Albuquerque eine interessante Geschichte. Die Stadt ist nämlich nicht im 19. Jahrhundert im Zuge des Vorrückens der weißen Siedler nach Westen aus dem Boden gestampft worden, sondern war bereits zwischen 1100 und 1300 n. Chr. von den Anasazi, einem Indianerstamm, gegründet worden. Später hat es ihnen trotzdem nichts genutzt, als spanische Siedler kamen und 1706 die heutige Altstadt mit ihrer eigenen Architektur versahen. Der Name ist entlehnt vom (fast) gleichnamigen Herzog und Vizekönig von Neuspanien. Heute ist Albuquerque mit seinen gut 900.000 Einwohnern die größte Stadt im Bundesstaat New Mexico. Fun Fact nebenher: In Albuquerque war ursprünglich (1975) der Sitz von Microsoft, bevor man nach Kalifornien ging, und seit 1983 ist Albuquerque eine Partnerstadt von Helmstedt.

Huch, ich bin ja schon wieder dran. Beginnt jetzt alles von vorn?

Liebe Leser, gern erzähle ich euch von Gallup. Zwar handelt es sich nicht um eine Metropole von Welt so wie Chicago, sondern nur um eine Kleinstadt mit 22.000 Einwohnern, aber hier, wo wir vorbeikamen, war ja sowieso alles sehr ländlich. Wenn man das gut findet und keine größeren Ansprüche an kosmopolitischen Lifestyle hegt, kann man in diesen Landstrichen, glaube ich, durchaus glücklich werden. Eine wirklich gut sortierte Parfümerie mit den aktuellen Neuerscheinungen aus Paris und Mailand habe ich nirgends entdecken können. Allerdings ist Gallup für was anderes berühmt, und es lohnt sich dann doch, dort vorbeizuschauen. Hier befindet sich nämlich das "El Rancho Hotel". 

Gallup: Glanz und Bedeutung

 
Dort sind viele berühmte Gäste untergekommen wie Humphrey Bogart, John Wayne, Spencer Tracy oder Catherine Hepburn, weil in der Gegend früher viele Western gedreht wurden. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz und jedes Hotelzimmer ist nach einem der berühmten Gäste benannt.

Ich hatte ja gedacht, wir würden ebenfalls dort absteigen, aber die Luna hatte was anderes (und vor allem Billigeres) im Sinn. So gut sie auch organisieren kann, manchmal fehlt ihr einfach der Sinn für das gewisse Etwas. Stellt euch vor, wie das eingeschlagen wäre, wenn ich euch Fotos hätte zeigen können, wie ich im Catherine-Hepburn-Zimmer auf dem Bett gesessen und den Lidschatten „Mystic Flashlight‟ von Pierre Latérne aufgetragen hätte. Das wär's doch gewesen, Leute. Ich bin ein wenig traurig um die verpasste Gelegenheit, denn unsere Besichtigung der Hotelhalle fiel nicht im mindesten so glanzvoll aus. Hier war alles rustikal aus Holz mit vielen Balken und bunten Teppichen, eher was für gemütliche Ansprüche von Leuten, denen egal ist, welche Berühmtheit draufgestanden hat.
„Du bist ganz schön verwöhnt‟, hat der Lütte Bonaparte zu mir gesagt. „Hauptsache, immer alles berühmt oder teuer.‟
Ach, was wusste der denn schon?! Um das Feeling ging es, um das Einatmen von Bedeutung und  Glanz. Stattdessen mussten wir nach einer popeligen Cola an der nur halb so interessanten Lobby-Bar wieder abziehen und ins Auto steigen. Wir würden jetzt einen Abstecher in die Umgebung machen, hat die Luna gesagt. Dazu fuhren wir einmal quer durch die Stadt. Das veranlasste mich, schon mal gedanklich ein paar Informationen zu Gallups Geschichte zu sammeln, denn so was wurde hier erwartet, wenn man über eine Etappe berichtete. Das Boffilein (ausgerechnet der) legt wert auf Bildung, also sollte er sie bekommen.

Gallup: Nicht nur hier häuften sich die Hinweise auf die Route 66

 
Früher lebten hier Indianer, unter anderem Navajo und Hopi. Man hat sie in Reservate gesteckt, wofür Gallup noch heute ein Versorgungszentrum ist. 1880 hatte die "Atlantic and Pacific Railroad" hier ein Zahlbüro eingerichtet, wo sich die Arbeiter ihren Lohn abholen konnten. Der Zahlmeister hieß David L. Gallup. Na, fällt der Groschen? Daraus entstand dann der Ort. Viele der Bahnarbeiter sind geblieben und arbeiteten später im Steinkohlebergwerk.

Um zu unserem Ausflugsziel, dem Monument Valley, zu kommen, mussten wir die Route 66 verlassen und ein Stück nach Norden abbiegen. Wir fuhren durch sehr bergige und zunehmend orangerote Landschaft nach Arizona bis an die Grenze zu Utah.
„Ziemlich dürr hier‟, hat die Polly festgestellt.
Die Felsformationen punkteten allerdings durch Originalität: Plateaus, Türme und Nadeln wechselten sich ab. Gut, dass wir genug Benzin dabei hatten. Nicht dass wir hier stehenblieben. Oder, Johann? Hatte er daran gedacht?
„Schisser‟, hörte ich den Blauen vorne neben dem Karlsson murmeln. 

Monument Valley: Da hinten, der Fliegenschiss auf der Straße, das waren wir

 
Mir war heiß. Oh-Gott-oh-Gott, wahrscheinlich war mein Deo dabei zu versagen. Durst hatte ich auch. Dazu mussten wir anhalten und ich musste mit der Wasserflasche den Wagen verlassen.
„Mach zu!‟, hat die Luna gedrängelt. „Wir wollen dieses Jahr noch ankommen.‟
Dauernd wehte einem Sand in die Frisur. Wir waren es selber, die ihn produzierten durch die Räder, die ihn aufwirbelten. Längst hatten wir den Asphalt verlassen. Wir fuhren jetzt auf trockener Erde.
„Schnell! Macht das Verdeck zu!‟, hat der Karlsson geschrien.
Er hatte Angst um den Wagen. Johann hat gleich angehalten und wie befohlen die Haube über uns gezogen. Nun noch die Fenster zu und schon war der Brutkasten perfekt. Über eine Klimaanlage verfügte dieses Wunderwerk der Automobiltechnik natürlich nicht. Man merkte schnell, wer am Morgen geduscht und wer es sich gespart hatte.
„Ist „Nature‟ von „Earth & Sun‟ haben sich der Boff und der Karlsson angestoßen und laut gelacht.
Hätte ich mir ja denken können, dass sie es lustigen fanden, diese beiden Primitivlinge.

Die Luna hat dann noch aus dem Reiseführer vorgelesen, dass die Anasazi-Indianer, die wir schon aus Albuquerque kannten, vermutlich die ersten Einwohner des Monument Valleys gewesen waren. Hier hatten sie Höhlen gebaut. Und dann las sie noch vor, dass man etliche berühmte Filme vor dieser Felskulisse gedreht hatte, zum Beispiel „Forrest Gump‟. Ach? Wirklich? Na, das war ja mal interessant. Das wusste ich nicht. Wenn ich darüber nachdachte: Soooo eintönig war die Einöde hier nun auch wieder nicht. Im Gegenteil, sie atmete Charme, zwar spröden Charme, aber immerhin Charme. Die Cora hat viele tolle Fotos von mir gemacht. Ich werde auf meinem Kanal eine Untergruppe „Felsen, die man gesehen haben muss‟ einrichten. Das wird toll werden.

Zurück mussten wir ein ganzes Stück nach Süden fahren. Galupp haben wir nicht mehr angesteuert, sondern haben gleich Kurs auf die nächste Etappe Flagstaff genommen. Der Karlsson meinte, dass wir von nun an in den Bergen bleiben würden, bevor es dann in Richtung Kalifornien immer bergab ginge. Mir war das recht, Hauptsache, wir kämen bald zurück in die Zivilisation.

 
Well it goes to St. Louis, down to Missouri
Oklahoma City looks so, so pretty
You'll see Amarillo, Gallup, New Mexico
FLAGSTAFF, Arizona, don't forget Wynonna
Kingman, Barstow, San Bernardino

Hey-a, hey-a – ho! Kennt ihr das Lied? Haben die Rolling Stones gesungen. Mir ging es nicht mehr aus dem Kopf, seit wir unterwegs waren. Wahre Kenner wussten früher schon, was gut ist und gut bleibt.

Wir befanden uns auf den Rückweg vom Monument Valley zurück zur Route 66. Unser Weg führte uns direkt durch die Hopi-Reservation. Begegnet sind uns nur wenig Fahrzeuge. Die Landschaft ist weit und naturbelassen. Unter unsern Rädern befand sich wieder Asphalt. Daher hatte ich den Johann angewiesen, sofort das Verdeck wieder zu öffnen. Ah, nichts geht doch über eine leichte Fahrtbrise, die einem sanft durch die Locken streicht. Die Vögel sind ein Stück neben uns hergeflogen, um sich die Flügel zu vertreten oder um mal aus dem Sicherheitsgurt zu kommen. Das Geflatter vom Boff, von der Fendy und von der Cora hatte streckenweise was von den Wildgänsen bei Nils Holgerson.
„Honk! Honk! Honk!‟, habe ich sie angefeuert.
„Sehr komisch‟, hat sich die Cora echauffiert.
Später haben wir sie wieder reingeholt, weil Johann Gas geben musste, um vor dem Dunkelwerden unser nächstes Ziel zu erreichen. Vor Flagstaff wollten wir nämlich noch den bekannten Meteoritenkrater (auch Barringer-Krater genannt) besichtigen. Das bot sich an, damit wir am nächsten Tag nicht noch mal zurückfahren mussten.

Dort auf der Hochebene in rund 2000 Metern Höhe war vor 50.000 Jahren ein Meteorit eingeschlagen. Das muss einen ordentlichen Bumms gegeben haben, allein wenn man den Rand betrachtet, den der Ball aufgeworfen hat. Der Krater misst 1,2 Kilometer im Durchmesser und ist 180 Meter tief. 1871 hat man ihn entdeckt. Der Name stammt vom Bergbauingenieur Daniel Barringer. Er hat den Krater um 1902 untersucht. Heute ist das Gebiet in Privatbesitz. Man kann es aber besichtigen gegen Eintritt.
Der Barringer-Krater vor Flagstaff

 
Die letzten Meter vom Parkplatz geht man zu Fuß. Wir setzten uns in Marsch, während Johann die Scheiben des Skylarks putzte. Diesmal hat der Lütte Bonaparte den Boff und die Fendy getragen, während die Cora bei der Polly im Nacken saß, um mit ihr zu schnattern. Von weiter vorn begehrte bereits die Fendy technische Unterstützung für neue Kanal-Fotos vor Geröllwüste.
„Ja, ich komm ja schon‟, hat die Cora zurückgerufen, aber keine Anstalten gemacht, sich sonderlich zu beeilen.
Hui, die war genervt, das könnt ihr wohl glauben. Die Posen der Fendy waren ohnehin immer die gleichen (Füße nach innen gedreht, Flügel sehnsuchtsvoll über die Augen gelegt), nur der Hintergrund wechselte ständig.

Für seinen Eintritt bekam man unter anderem Zutritt zu diversen Plattformen, auf denen man sich den Krater von nahem anschauen konnte. Fernrohre erleichterten das Studium.
„Boah, ist das groß hier‟, hat der Lütte gestaunt.
„Ja, das ist ein Murmelloch von den Götterkindern vom Olymp‟, hat der Boff gesagt.
„Echt?‟
„Natürlich, die haben früher hier ihre Murmeln reingeschnippt.‟
Jetzt starrte der Lütte noch ehrfurchtsvoller erst auf den Wall, dann in den Himmel. Nur gut, dass die Polly gerade mit der Cora im Gespräch vertieft war, sonst wäre sie bestimmt zur Hilfe geeilt. Als angehender Mann muss man auch mal ein paar derbere Prüfungen bestehen. Wir meinen es ja nur gut mit dem Lütten.

Es war schon Abend, als wir zurück auf die Route 66 bogen und Flagstaff ansteuerten. Wir fuhren in einen grandiosen Sonnenuntergang hinein. Der Skylark schnurrte liebevoll unter meinem Körper und schickte wohlige Schauer, die sich zu Gedanken formten, die man wohl als Dankbarkeit und Wärme bezeichnen kann.
„Sind das Tränen in deinen Augen?‟, hat sich die Polly zu mir nach vorn gebeugt.
„Quatsch! Das kommt von der Zugluft‟, habe ich klargestellt.
Erkältungsanfällig darf man in einem Cabrio natürlich nicht sein. 

Arizona bereitete sich auf die Nacht vor


Als wir in Flagstaff ankamen, war es bereits dunkel. Wir haben gleich das Hotelzimmer bezogen. Im angeschlossenen Barbecue-Grill haben wir das Abendessen eingenommen. Ich muss schon sagen, die Portionen hier im Südwesten waren ausgesprochen angenehm, das Fleisch reichhaltig aufgetragen, nicht so knickerig zugeordnet wie oftmals daheim. Man wurde satt. Nur wenn man Rohköstler war, so wie die Luna, ging man oft leer aus. Salatplatten schienen hier nicht sehr üblich zu sein. Glücklicherweise ist die Luna aber erfahren genug, um sich vorübergehend mit Pizza oder einem Nudelauflauf zu arrangieren. Trotzdem wäre das ja eigentlich eine Angelegenheit, die in die Zuständigkeit des Lütten, fiele, nicht wahr? Wer, wenn nicht er, wäre aufgerufen, Versorgungslücken bei der Nahrungsbeschaffung zu schließen? Leider ließ er das Catering deutlich schleifen. Als Begründung gab er an, wir würden ja sowieso nicht im Wagen essen und trinken dürfen und auch nicht gern auf offener Strecke Rast machen, wozu dann all das Zeug herbeischaffen? Tja, dass man mit dieser Einstellung nicht weit kommt, müssen wir ja wohl nicht diskutieren. Auch der Boff war entsetzt.
„Pflicht ist Pflicht und bleibt Pflicht‟, hat er sehr richtig angemerkt.

Am nächsten Morgen stand der Skylark frisch gewaschen und poliert, wie jedes Mal, vor dem Hotel zur weiteren Verwendung bereit. Johann ist ein braver Mann. Er weiß, was man diesem gesegneten Gefährt schuldig ist.

Unser erstes Ziel an diesem Tag führte uns zum berühmten Lowell-Observatorium hier im Ort. Dort befinden sich bedeutende astronomische Forschungseinrichtungen, und zwar schon seit rund hundert Jahren. Gegründet wurde die Sternwarte 1894 von dem reichen Hobby-Astronomen Percival Lowell, der hier den Mars erforschen wollte. Damals dachte man noch, dass die Linien, die man durch das Teleskop sehen konnte, künstlich von intelligenten Wesen angelegte Gräben zur Bewässerung des ausgetrockneten Mars seien. 1930 gelang dann ein wirklich großer Coup. Nach jahrzehntelanger Vorarbeit entdeckte man hier den Pluto. Das betreffende Teleskop kann man noch heute besichtigen. Wir haben uns diese Gelegenheit natürlich nicht entgehen lassen. Mitgelaufen sind wir im Tross der Touristen durch etliche Hallen hindurch. Generell kann man sagen, dass sich hier auf der Südstrecke der Route 66 weit mehr Besucher tummelten als auf den nördlichen Abschnitten. Das merkte man auf den Straßen, in den Cafés und Restaurants und besonders hier im Observatorium. Oft schlichen sich aufdringliche Bälger an, patschten mir von hinten auf den Kopf oder wollten die Luna streicheln.
„Schaut mal, ein Kaninchen!‟, haben sie gerufen.
Wir haben zugesehen, dass wir wieder rauskamen. Dass man uns anglotzt, weil man wohl Tiergruppen auf Reisen mancherorts für sonderbar hält, sind wir ja gewohnt, aber wenn man der Cora am Schwanz zieht oder mir an die Locken geht, ist es aus mit lustig. Sowieso hatten wir ja noch einen Ausflug vor; da kam die Zeitersparnis durch den plötzlichen Besichtigungsabbruch durchaus willkommen. 
 
Noch eine interessante Bemerkung zur Sternwarte: Wie ernst die Forschungen genommen werden, erkennt man daran, dass die Stadtverwaltung schon seit 1958 ein Verbot aufrecht erhält, das die Nutzung von Scheinwerfern und gegen den Himmel gerichtete Außenwerbung unterbindet, damit die Beobachtungsbedingungen nicht getrübt werden. Der Lütte Bonaparte fand das sehr inspirierend.
„Sind wir heute Nacht noch hier?‟, hat er gefragt.
„Untersteh dich!‟, hat die Polly ihm aufgetragen.
Beim nächsten Halt auf der Strecke habe ich unauffällig den Kofferraum untersucht, ob die Taschenlampe für Notfälle noch da sei. Sie war es. Ich habe sie vorsichtshalber in Pollys Leberwurstbox getan. Man weiß ja nie. Ich habe mir sagen lassen, dass früher in England nach einer der Reisen der Pit auf der Fahndungsliste gestanden haben soll, weil er ein Schloss (oder war es eine Burg?), jedenfalls ein lokales Wahrzeichen, in Schutt und Asche gepopelt hatte. So was wollten wir nicht noch mal riskieren. Ich bin klar für weltweite Bewegungsfreiheit.

Früher als geplant sind wir also zu unserm Abstecher aufgebrochen. Zum Grand-Canyon-Nationalpark sollte es gehen. Dazu mussten wir hinter Flagstaff wieder die Route 66 verlassen und ein Stück nach Norden fahren. Den Grand Canyon kennt jeder, zumindest von Fotos, aber wer ist schon mal live dort gewesen?
„Was, schon wieder Felsen besichtigen?‟, hat sich die Fendy beschwert.
„Ich dachte, du wolltest extra eine Sparte dafür auf deinem Kanal anlegen.‟
„Ach so, ja, richtig.‟
Die weiß auch nicht, was sie will, die Glitzer-Göre. Ein weiterer Grund, der fürs Fahren mit offenem Verdeck spricht, ist, dass man dann nicht so vom Parfüm eingenebelt wird.

Eigentlich besucht man den Grand Canyon, um dort zu wandern. Das haben wir uns aber gespart, da wir ältere oder kränkliche Mitreisende dabei hatten. Damit waren natürlich die Cora und die Polly gemeint.
„Du spinnst wohl!‟, hat die Cora geschrien.
Am Ende sind wir nur so weit hineingefahren, dass man einen guten Eindruck von der imposanten Landschaft bekam. Um einen herum waren nur Berge, zerklüfteter Fels, Himmel und Wolken, sonst nichts. Während wir Hunde und die Luna beim Skylark blieben, sind die Vögel aufgebrochen, um mal schnell zu einem der Gipfel zu fliegen für ein schönes Foto mit Rundblick. Dem Boff hatte ich dazu meine Schleswig-Holstein-Fahne anvertraut, damit er sie oben als Gipfelkreuz in den Boden steckte. Als sie zurückkamen, hat er mir versichert, den Auftrag ordnungsgemäß ausgeführt zu haben.
„War's schwer, guten Halt für den Stab im Gestein zu finden?‟
„Nö, alles okay.‟
Gut so, danke. Das war mir sehr wichtig.

Im Grand Canyon fließt Gold!

 
Dann sind wir zurückgefahren auf die Route 66, etwa auf der Höhe kurz hinter Flagstaff, um zur nächsten Etappe nach Seligman zu kommen. Die Polly hat sehr auf den Lütten einreden müssen, weil er die ganze Zeit heulte wie blöd. Er hätte doch auch so gern auf den Gipfel klettern wollen, er wäre nicht alt, er wäre fit wie ein Turnschuh, hätte Ausdauer und wäre in Null Komma nichts oben gewesen. Aber man hat ihn ja nicht gelassen. Das sei fies gewesen, aber so was von! *Plärr, plärr, plärr*. Die ganze lange Fahrt bis kurz vor Flagstaff ging das so. Sehr ärgerlich war das, weil ich vorgehabt hatte, den andern zu erzählen, dass hier auf dem Streckenabschnitt der Route 66 in den 60er Jahren der Film „Easy Rider‟ gedreht worden war. Ah, ich sah es direkt vor mir, wie Peter Fonda und Dennis Hopper mit ihren Harleys hier langrauschten, Steppenwolf dazu mit „Born to be wild‟ –  was braucht ein Mann mehr im Leben, um glücklich zu sein? Natürlich habe ich all das NICHT gesagt, denn ich hätte in dem Geheule sowieso kein Gehör gefunden. 


Gut, sehr gut, ich komme noch mal dran mit Berichten. Vorausschicken möchte ich allerdings, dass ich keineswegs petze. Ich bin nur dafür, dass die Wahrheit ans Licht kommt.

Wie der Blaue und auch der Karlsson mit dem Lütten Bonaparte umgingen, das war absolut nicht in Ordnung. Jetzt machten sie ihn auch noch dafür verantwortlich, dass die Luna keine Rohkost bekam. In diesen Landstrichen isst man offensichtlich gern deftig und sehr fleischlastig, da war nicht viel Gemüse zu ergattern. Der Lütte wurde von den beiden Jungs vorgeladen und scharf befragt, wie es sich mit dem Catering verhalte, warum er in letzter Zeit diesbezüglich so eklatant geschlurt habe und warum es nicht möglich sei, wenigstens die Lücken in Lunas Speiseplan zu schließen. Gäbe es etwa weit und breit keinen einzigen Garten mit Zucchini, Tomaten oder Gurken? Könne man seine Fertigkeiten nicht mal darauf konzentrieren und etwas Konstruktives beisteuern zum Austarieren des gruppeninternen Nahrungslevels? Ich kann euch sagen, die Polly hatte die ganze Nacht zu tun, um den Lütten wieder aufzurichten. Ins Bad hatten sie sich zurückgezogen, um die andern nicht beim Schlafen zu stören. Erzählt es nicht weiter, aber ich bin mit der Luna heimlich aus dem Hotel geschlichen, als der Karlsson und der Boff schliefen. Wir haben etliche Restaurants abgesucht und nach Gemüse gefragt. Die Ausbeute war zwar, wie zu erwarten, nicht gerade üppig ausgefallen, aber wir haben die Gurke und die Paprika im Hotelzimmer heimlich in den Proviantbeutel getan, weil wir das Elend nicht länger anschauen konnten. Am Morgen hat der Lütte noch vor dem Frühstück den Beutel vorgezeigt. Damit war dann erst mal Ruhe.
„Geht doch‟, hat der Boff gemeint. „Man muss die Jugend fordern, sonst wird sie bequem.‟

Ich war so sauer auf den Kerl, dass ich zum Äußersten greifen musste: Ich habe ihm Lax-o-Flutsch aufs Frükstücksomelette geträufelt. Danach war Musik im Wagen. Dauernd hat er sich abschnallen und schnell mal um die Ecke fliegen müssen. Wenn Johann vom Gas gehen wollte, habe ich gesagt, das sei nicht nötig. Es war mir eine innere Eisrevue zu beobachten, wie der Boff dann angehetzt kam mit wild schlagenden Flügeln, um uns wieder einzuholen. Das Ganze ging den halben Tag so. Ich konnte mir nicht verkneifen, den Boff zu fragen, ob der Lütte ihm ein paar Kohlekompretten besorgen solle. Auf eine Antwort warte ich bis heute. Hahaha. Selten habe ich mich so amüsiert.

Nun aber zurück zu meinem eigentlichen Bericht. Auf der Route 66 aus Richtung Flagstaff bis nach Seligman war es nicht sehr weit. Wir brauchten nur zwei Stunden für die Fahrt. Wenn man schon so lange im Auto saß wie wir, empfand man zwei Stunden als angenehm kurz. Der Ort selbst hat nicht mal 500 Einwohner. Um 1890 hatten zwei auswärtige Familien das Gebiet von den Cherokee-Indianern übernommen und den Ort gegründet. Seligman nennt sich heute „Geburtsstätte der historischen Route 66‟. Gemeint sein kann natürlich nur der letzte Streckenabschnitt, denn der richtige Anfang befindet sich ja bekanntlich in Chicago. Den Touristen wird einiges geboten auf engstem Raum. So klein der Ort auch ist, so viel war los. Man setzt ganz auf die Nostalgie der Route 66. Überall stehen alte Schilder, sind die Gebäude geschmückt mit Graffiti und Blechgedöns, und sogar alte kaputte Autos mit geschwungenen Kotflügeln aus der Ära unseres Skylarks hat man hingestellt zum Vorzeigen. 
 
Alter Charme in Seligman

Hier auch

 
Und hier: Man beachte das grüne Schild in der Mitte

 
Ein Gebäude sticht dabei besonders hervor: Auf den Dächern der Anbauten sind Schaufensterpuppen angebracht in altmodischer Kleidung, so als sei es normal, dass man sie dort vorfindet.
„Werden die reingeholt, wenn's regnet?‟, hat die Luna zur Diskussion gestellt.
Keiner wusste die Antwort. Es wurde viel ins Notizbuch geschrieben.
„Schick, das rote Abendkleid‟, fand die Fendy.
Ich musste mit ihr hinauffliegen und sie fotografieren, während sie der Puppe auf der Schulter hockte.

Seligman: Schaufensterpuppen und ein seltene Kutsche

 
Den Karlsson beeindruckte vor allem der rosa Straßenkreuzer davor.
„Hui, das ist ein Edsel‟, hat er begeistert in die Pfoten geklatscht.
Ein was?
„Ein Edsel. Ein Auto vom Ende der 1950er Jahre. Er war ein Flopp, kommerziell gesehen. Trotzdem toll, dass ich ihn mal in natura zu sehen kriege.‟
Wie schön, dass man Männer so einfach glücklich machen kann. Ich hatte Hunger. Wir sind eingekehrt in einem der Burgerpaläste. Dort gab es wenigstens Pommes und eine Apfeltasche für die Luna. Der Lütte hatte frei. Ihn würde bis zur Ankunft in Los Angeles niemand mehr nach dem Proviantbeutel fragen. Dafür hatten wir gesorgt. Näheres muss hier nicht interessieren. Nur so viel: Der Boff würde Ruhe geben und der Karlsson auch. Zum Dank hatten die Polly, die Luna, die Fendy und ich unbemerkt je einen dicken Schmatz vom Lütten aufgedrückt bekommen. Wie dankbar der Junge sein konnte. Davon könnten sich der Blaue und der Gelockte ruhig eine Scheibe abschneiden.

Als wir am Mittag alles besichtigt hatten, ging es weiter zur nächsten Station nach Kingman. Die Straße wurde jetzt belebter. Besonders viele Motorräder waren unterwegs. Kein Wunder, denn dieser Abschnitt der Route 66 ist gerade bei Bikern sehr beliebt. Ich mochte sie gern, die Leute mit den Lederjacken. Oft winkten wir ihnen aus dem Wagen zu. Sie grüßen freundlich zurück, fuhren manchmal ein Stück neben uns her und gaben dann Gas zum Überholen.
„Tzöh‟, hat der Karlsson auf dem Vordersitz gehustet.
„Prost!‟, hat dann die Polly gerufen.

 
Die Straßen in Arizona sind bisweilen abenteuerlich. Man fährt die Route 66 mal in Schleifen, mal geradeaus, mal aufwärts, mal abwärts.

Das Wüstenklima machte es heiß und trocken. Nachts soll es kalt werden, oft unter Null Grad. Mir (und manch anderem) hätte es nicht gefallen, dort draußen zu campen. Über meine Wahl unserer Unterkünfte hatte sich bisher noch niemand beschwert. Nur beim Hotel El Rancho in Gallup (das mit dem Catherine-Hepburn-Zimmer) hatte ich mir den Ärger der Fendy zugezogen. Ich hätte doch mal ein bisschen mehr Instinkt beweisen und auf die Bedürfnisse kultivierterer (!) Mitreisender Rücksicht nehmen können, hat sie mich angepflaumt. Mit ihrem Geknipse für ihren „Protzkanal‟ (wie der Boff ihn sehr treffend nennt) ging sie mir allmählich auf die Nerven. Aber vielleicht wird man automatisch dünnhäutig, wenn man so eng aufeinander klebt. Jeder hat halt seinen Charakter und seine Eigenarten. Im Grunde ist die Fendy ja ein liebes Mädchen mit einem freundlichen Wesen, das momentan nur etwas fehlgeleitet ist. Sie zumindest stänkert nicht dauernd den Lütten Bonaparte an. Das kommt bekanntlich aus einer ganz andern Ecke. Ich will aber nicht auch noch damit anfangen. Ich glaube, die Cora hat sich schon genug darüber ausgelassen. Der Blaue und der Karlsson waren erst mal außer Gefecht genommen und das war ja die Hauptsache.
 
Berg- und Talfahrt in Arizona


Wir waren auf dem Weg nach Kingman. Der Ort hat 32.000 Einwohner. 1882 als kleine Siedlung gegründet, geht der Name auf den Konstrukteur der örtlichen Bahnlinie Lewis Kingman zurück. Es handelte sich also einmal mehr um einen Ort, der ohne die Eisenbahn vermutlich gar nicht da wäre. Und wenn man nicht in den umliegenden Bergen Gold und Silber gefunden hätte, hätte sich vielleicht niemand um den Landstrich gekümmert. Später, als es mit den Bodenschätzen nicht mehr so dolle war, profitierte Kingman von der Route 66, weil hier viele Reisende Halt machten. Seit man den Streckenabschnitt nicht mehr braucht, um schnell von A nach B zu kommen (dafür gibt es bekanntlich heute bequemere Interstates), finden sich viele Nostalgiker in Kingman ein, um das Flair der historischen Route 66 einzufangen. Das ist im Grunde nicht anders als in Seligman, von wo wir gerade herkamen. Und es gibt noch andere Orte, die sich der gleichen Aufgabe verschrieben haben. Deswegen waren wir ja unterwegs, um all das kennenzulernen.
 
Kingman: Nostalgie


In Kingman kann man zum Beispiel ein Route-66-Museum besuchen oder den "Locomotive Park". Hier ist seit 1957 die Dampflok Nr. so und so der Santa Fee Railway ausgestellt. Seit 1928 hatte sie die Strecke Los Angeles – Kansas City bedient. Besonders charmant an ihr ist, dass man ganz dicht herangehen kann, weil keine Absperrung einen daran hindert.

Der Locomotive Park in Kingman


Der Lütte ist gleich hingerannt und hat mit der Pfote am Rad herumgepatscht.
„Na, hält sie stand?‟, hat sich die Fendy erkundigt.
Sie ist – wie sollte es anders sein? – gleich wieder mit der Cora am Gange gewesen, damit sie frische Fotos für den Instagram-Kanal bekam. Überall ist die Fendy herungekraxelt, auf den Achsen, auf dem Dach, auf dem Schornstein. Wir andern sind die Treppe hochgestiegen, um ins Fahrerhaus zu gelangen. Wann hatte man schon mal die Gelegenheit, eine Dampflok von innen zu sehen?
„Ui, viel Eisen hier‟, hat der Boff festgestellt.
Wenn man sich anstrengte, konnte man inmitten der massigen und verschnörkelten Konstruktion die Klappe vom Ofen erkennen, in die man die Kohle geschoben hatte. Viel interessanter fand der Lütte aber den Fahrerstand. Überall, wo es nur ging, hat er dran gezogen, dran gedreht oder dran gedrückt.
„Pass bloß auf, dass das Ding nicht gleich losfährt‟, hat der Karlsson gewarnt.
„Quatsch!‟, ist die Polly dazwischengegangen. „Lass den Jungen ruhig seine Erfahrungen machen. Bildung hat noch niemandem geschadet.‟

Leider zog sich seine Begeisterung in die Länge. Er zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen beim  Lokführerspielen („Tuuut! Tuuut!‟) . Langsam wurde es warm und stickig in dem engen Raum. Außerdem rückten andere Besucher nach, die ebenfalls Kinder mit sich führten, die auch mal drankommen wollten.
„Kommt ihr endlich?‟, hat die Cora den Kopf zur Tür reingesteckt.
Ich musste mit einer Eistüte locken, damit wir uns zurück in die Innenstadt begeben konnten.

Ins Route-66-Museum sind wir nicht gegangen, weil der Karlsson argumentiert hat, dass es überflüssig sei, weil wir ja selbst das Museum darstellten, solange wir auf den Spuren der historischen Strecke wandelten. Da müsse man uns ja nicht noch virtuell zeigen, was wir sowieso schon selbst gesehen hatten.
„Da gibt’s aber Filme, wo man erfährt, wie es vor 50 Jahren ausgesehen hat‟, habe ich zu bedenken gegeben.
„Na und?‟
Also schön, ich hatte verstanden, die Herrschaften wollten nicht ins Museum.
„Kriege ich jetzt mein Eis?‟, hat der Lütte Bonaparte gedrängelt.
Unterwegs sind wir noch an allerlei Touristenständen vorbeigekommen. An dem hier gab es Schmucktöpfe und Skulpturen aus Stein zu kaufen.

Kingman: Was das Herz begehrt

 
Über die Kutsche inklusive Fahrer und Pferde aus Blech haben wir uns gewundert. Stellt man sich die in den Vorgarten?
„Oh, schau mal, Kaninchen‟, hat mich der Boff angestoßen.
„Wo?‟
„Ganz vorne, da vor den türkisfarbenen Tütenvasen.‟
Tatsächlich. Ob ich eine haben wolle, hat er gegrinst. Er würde sie mir kaufen und sogar mit den eigenen Flügeln zum Auto tragen. Jawohl, das sei ich ihm wert. Diese Dulli. Dem bekam ganz offensichtlich die stechende Sonne Arizonas nicht. Es wurde Zeit, dass wir weiterfuhren, um noch ein paar geruhsame Stunden von der nächsten Etappe zu genießen, bevor es dunkel würde und wir das Hotel beziehen müssten.

Mein Fazit zu Kingman lautet: Es ist sehr amerikanisch, ziemlich weitläufig und trotz allem in etlichen Teilen modern, nicht so knuffig wie das winzige Seligman mit seinen angehäuften alten Devotionalien. Unsere nächste Station war Oatman. Das wäre wiederum etwas in dieser überschaulichen Preisklasse. Mal sehen, was uns dort erwartete. 
 
Schön, dass ich noch mal dran bin. Ich will gleich was klarstellen. An diese Sache mit der olympischen Göttermurmel im Krater vor Flagstaff glaube ich kein bisschen. Die Cora hat mir später erzählt, dass es sich nur um einen Scherz vom Blauen handelte.

Von der Cora weiß ich auch, was im Grand Canyon passiert ist, als sie mit der Fendy und dem Boff zum Gipfel geflogen ist, während wir andern unten warten mussten. Stellt euch vor, dabei ist dem Boff das Schleswig-Holstein-Fähnchen vom Karlsson runtergefallen. Er hatte den Stil im Schnabel, aber damit herumgealbert, und – zack – war das Ding in Bewegung geraten und in den Abgrund getrudelt, kilometerweit runter. Zum Auffangen war der Blaue nicht schnell genug gewesen und von oben hat man nicht sehen können, wo es abgeblieben ist. Das schöne, treue Fähnchen, der ganze Stolz vom Karlsson –  einfach so ins Geröll gekippt. Und als ob das nicht schlimm genug gewesen wäre, hatte der Boff nicht mal so viel Mumm, dem Karlsson reinen Wein einzuschenken. Stattdessen hat er ihm glatt ins Gesicht gelogen, hat bejaht, als er gefragt wurde, ob er den Auftrag ausgeführt habe. Der arme alte Hund denkt doch jetzt, sein Fähnchen mache das Gipfelkreuz. Wahrscheinlich ist er stolz, weil er ein Stück Heimat in der Fremde gelassen hat als Andenken an seine Existenz, als Sinnbild für das Sein an sich oder als Gruß an den Kosmos und die Ewigkeit. Ich kenne mich im Detail nicht so gut aus, was alten Gutsherren so durch den Kopf geht, aber irgendwas in dieser Richtung wird es bestimmt gewesen sein.

Jedenfalls hat der Boff einen Verrat am Karlsson begangen. Das hat auch die Cora gesagt und sofort ihre Chance ergriffen, als der Boff wieder anfing, über meinen Proviantbeutel herzuziehen. Die Cora hat den Blauen beiseite genommen und ihm erklärt, wenn sie noch einmal auf dieser Reise mitkriegen würde, dass er, der Boff, mich anstänkert und Dünnschiss labert übers Catering und meine angeblichen Pflichten, dann würde sie dafür sorgen, dass der Karlsson erfährt, was mit seinem Fähnchen passiert ist.
„Das wagst du nicht‟, soll der Blaue geantwortet haben.
„Willst du es darauf ankommen lassen?‟, hat die Cora gekontert.
Also, mein liebes Boffilein, in Zukunft schön die Füße stillhalten, nicht wahr? Außerdem sollte er dafür sorgen, dass der Karlsson das Gleiche tut. Wie der Blaue das anstelle, sei ihr egal, hat die Cora noch gesagt. Ach, und das noch hinterher: Die Luna sei ganz zufrieden mit einem Nudelauflauf, die brauche nicht unbedingt täglich Rohkost. Es sei daher nicht nötig, Unwahrheiten in die Gegend zu blasen. Ob man sich verstanden habe?

Ui, ui, die Cora war großartig. Zu Hochform ist sie aufgelaufen. Überhaupt waren die Mädels alle ganz reizend zu mir. Als der Boff weggtrottet war, sind die Fendy und die Luna zu mir gekommen und haben mir aufmunternd zugezwinkert. Die Tante Polly stand ja sowieso auf meiner Seite. Ich habe den Proviantbeutel im Gästeklo der Tankstelle, wo wir angehalten hatten, einmal kurz durchgewaschen und dann während der Fahrt in den Fahrtwind gehalten, bis er ruckzuck trocken war. Dann habe ich ihn sauber zusammengefaltet und in meinem Rucksack verstaut. Währenddessen haben der Boff und der Karlsson auf ihrem Vordersitz so getan, als würden sie nichts mitkriegen. Ich habe jetzt frei. Ihr glaubt ja gar nicht, welch tolles Gefühl das ist. Bis wir zu Hause in Deutschland ankommen, wird mich niemand mehr antreiben und wird mich niemand mehr als Azubi beschimpfen. Als Lehrling hat man nämlich auch Rechte. Danke, Cora, dass du mich daran erinnert hast. 

Die Landschaft bei Oatman


Oatman hieß die Stadt, die wir als nächstes ansteuerten. Oder war es gar keine Stadt, sondern bloß ein Ort? Na ja, bei ca. 100 Einwohnern war wohl eher Letzteres der Fall. Andererseits: Wenn man die bis zu 500.000 Besucher berücksichtigt, die jedes Jahr einfallen, dann kann man wohl mit gutem Recht behaupten, dass es sich hierbei um eine größere Kategorie handelte. Ich fand, man konnte auf Anhieb verstehen, warum all die Leute kamen. Früher war es eine Goldgräbersiedlung gewesen. Das viele Wildwest sah man heute noch: Holzhäuser, Holzfassaden, Holzstege, Holzveranden, alles aus Holz. Sehr originell.
„Fehlen nur noch der Sheriff und die Gangster‟, hat die Tante Polly geunkt.
Manchmal ist sie mir unheimlich. Als könnte sie in die Zukunft schauen. Soeben waren wir nämlich aus dem Wagen gestiegen, Johann hatte den Skylark in eine Seitenstraße gefahren, wir standen auf dem Gehweg, als es plötzlich wie wild zu ballern begann. Schrill peitschte es durch die Luft.
„Oh, Mist, die schießen hier!‟, hat die Fendy geschrien. „Schnell weg!‟
Gerade als sich der Karlsson hinter eins der geparkten Motorräder werfen wollte, hat die Luna nach Contenance gerufen: Das sei doch alles nur Fake, Showgeballere für die Gäste. Wir sollten uns nicht erschrecken, uns würde nichts passieren.
 
Oatman


„Puh!‟, hat die Cora gestöhnt und sich den Straßenstaub vom Bauch geklopft. „Das muss einem doch gesagt werden.‟
Ja, man bot den Touristen einiges. Auch eine Postkutsche kam später an uns vorbeigebrettert. Weiter hinten wurde sie überfallen und ausgeraubt, auch alles nur zur Unterhaltung. Ich fand das total spannend. Endlich passierte mal was, das man von zu Hause nicht kannte. Die Luna wollte aber lieber den "Egg Fry-Wettbewerb" sehen, doch leider war es dazu schon zu spät am Nachmittag. In der Mittagssonne ginge es besser, hat sie gesagt.
„Was denn?‟
„Das Braten von Eiern auf dem Gehweg nur mit der Sonne.‟
„Tz-tz-tz‟, hat der Boff den Kopf geschüttelt. „Und dafür gibt's extra einen Wettbewerb?‟

Eine andere Sache, die einem in Oatman sofort ins Auge fiel, waren die vielen Esel, die in der Gegend herumstanden. Sie schienen niemandem zu gehören. Tatsächlich waren es wilde Esel, Nachfahren jener Artbeitsesel, die man früher nicht mehr gebraucht und daher freigelassen hatte. Überall gab es Stände, wo man Möhren und anderes Futter kaufen konnte. Die Luna ist gleich hingerannt. Einen spitzen Schrei hat sie ausgestoßen. Ich nehme an, es war Freude. Mit mindestens fünf Beuteln Karotten, die sie an den Bauch gepresst hielt, kam sie zurück.
„Kann mal jemand helfen und die Beutel zum Wagen bringen?‟, hat sie gefragt.
Ich habe das schnell erledigt. 
 
Oatman: Der Helle da, mit dem kriegten wir es zu tun


Kurz darauf sind wir einem der Esel direkt vor die Füße gelaufen. Ich habe „Hallo‟ gesagt und wollte mich noch nach dem Befinden erkundigen, aber der Kerl war plötzlich sehr abweisend. Er hat schrille Laute von sich gegeben, dann geschnauft, mit dem Huf auf dem Boden gescharrt, uns giftig angeglotzt und zu guter Letzt allen Ernstes Fahrt aufgenommen.
„Huch! Ich glaube, der will uns aus dem Weg rammen‟, hat die Tante Polly gerufen.
Wir sind umgekehrt und weggerannt; die Furie hinterher.
„Ach du liebe Güte, teilt euch auf!‟, hat die Cora empfohlen.
Da waren die drei Vögel längst in der Luft. Die Luna hatte sich unter ein parkendes Auto gerettet. Ich bin dann einfach quer über die Straße gelaufen. Hinter mir hörte ich es trappeln. Ich habe mich nach dem Karlsson und der Tante Polly umgeschaut, aber sie waren nirgends zu sehen. Nur der wildgewordene Esel klebte mir noch immer dicht an den Fersen. Das Biest wollte einfach nicht aufgeben. Ich weiß nicht, wie lange wir auf diese Weise die Kolonne gegeben haben. Jedenfalls begegneten uns etlichen Touristen, die stehenblieben, um uns vorbeizulassen. Sie lachten. Was daran wohl witzig war?
„Die mögen keine Hunde‟, hörte ich einen Mann zu seiner Frau sagen.  
Ach? Das war also des Pudels Kern? Das war ja wohl die Höhe. Diskreminierung nennt man das ja wohl. Ich war so stinkig, dass ich einfach stehengeblieben bin. Dann habe ich mich ungedreht und gewartet, bis der Esel nah genug herangekommen war.
„Hau ab, du Idiot!‟, habe ich ihn angebellt. „Ich bin doch gar kein Hund, ich bin ein Panda.‟
Und tatsächlich, der Kerl bremste ab. Plötzlich war er friedlich, guckte nur irritiert.
„Sind die nicht dicker?‟, hat er vorsichtig gefragt.
„Wer?‟
„Pandas.‟
„Ich hatte kürzlich eine Magen-OP‟, habe ich behauptet.
Da hat er gestutzt. Dann hat er „Entschuldigung‟ gemurmelt und „War ein Versehen‟ und ist einfach weggegangen. Ich habe ihm mit der Pfote ein bisschen Staub hinterhergetreten. Später, als ich den andern davon erzählte, haben sie mir nicht glauben wollen. Nee, das hätte ich mir nur ausgedacht, das könne gar nicht sein. Ihnen wären die Furien bis vor die geschlossene Tür gefolgt. Typisch, wenn's darum geht, mit Mut und Intelligenz ein Problem zu lösen, dann stehe ich ganz unten auf der Liste. Das ist auch so was, das ich total gemein finde.

Aber dass es die Esel von Oatman gerade auf Hunde abgesehen hatten, das war den andern auch aufgefallen. Wir entschieden daher, den Rest des Tages im Hotel zu bleiben. Es war ohnehin schon Abend und mancher hatte gegen ein bisschen Ausspannen nichts einzuwenden. Die Fendy hat stundenlang am PC gesessen und Fotos an den Marcel geschickt. Die Luna war mit ihrem Notizbuch beschäftigt, die Cora hat ein Magazin durchgeblättert, der Karlsson und der Boff sind in die Hotelhalle gegangen, um sich die Wand mit den gerahmten Bildern der dankbaren Gäste anzuschauen, und ich musste unter die Dusche. Danach gab es Abendessen im hoteleigenen Restaurant. Es war wie ein Saloon ausgebaut. Später hat mir die Tante Polly eine Geschichte vorgelesen. Worum es ging, weiß ich aber nicht mehr, weil ich kaum was hören konnte, da die Luna dauernd Karotten gefuttert hat. Die halbe Nacht ging das so: immer abbeißen, noch mal abbeißen, langsam zermalmen. Ein Krach war das, unbeschreiblich.
„Kannst du nicht im Bad weiteressen?‟, hat die Fendy schließlich gebeten. „Wir wollen ganz gerne schlafen.‟
Vom Karlsson und vom Boff ist diesmal keinerlei Meckern gekommen. Woran das wohl lag? Sonst sind sie ja wenig zimperlich, sobald sie bei der Nachtruhe gestört werden.

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück, als Johann uns abholen kam, haben wir die Cora vorgeschickt. Sie sollte nachschauen, ob Esel vor der Tür standen. Womöglich hatten sie sich zusammengerottet, um uns gemeinsam aus dem Ort zu jagen. Inzwischen hatten wir auf einem der angeschlagenen Hinweisschilder gelesen, dass Besucher davor gewarnt wurden, ihre Hunde mitzubringen, da die Esel unter Umständen unfreundlich reagieren könnten. Man solle bedenken, dass es sich um wilde Tiere handelt. Jo, aber das Futter von uns Touristen annehmen, das konnten sie oder was?
„Die Luft ist rein‟, hat die Cora glücklicherweise gemeldet.
Rasch sind wir in den Wagen gesprungen. Die Fendy hat sich vorsichtshalber sogar noch weggeduckt, obwohl sie als Vogel gar nicht gefährdet war. Wir verließen den Ort ohne weitere Zwischenfälle. Schade, so eine reizende Siedlung mit tollen Angeboten, aber dass man als Hund dort um seine Sicherheit bangen musste, das war uns auch noch nicht untergekommen.

Die Luna hatte einen Beutel Karotten gerettet und fing schon wieder an, mit rhythmischem Geknacke sie klein zu mahlen. Gott, musste die unter Nachholbedarf leiden. Von ihr wollte ich wissen, ob wir jetzt noch mal einen Ort mit -man am Ende ansteuerten?
„Du meinst Seligman, Kingman, Oatman? Nein, wir fahren jetzt über die Grenze nach Kalifornien. Wir erreichen Gegenden, die von spanischen Missionaren besiedelt wurden. Daher tragen viele Städte Namen von Heiligen mit San und Santa am Anfang.‟
Nun, das ergab Sinn.

Jedem war klar, dass wir uns auf den letzten Kilometern der Route 66 befanden. Unser Wagen fuhr, wie es der Karlsson schon vor Tagen prophezeit hatte, die ganze Zeit bergab. Die Berge waren dunkel, weil aus Lavagestein angehäuft, und am Straßenrand standen Kakteen und anderes Wüstengewächs.

San Bernadino: erkaltete und zusammengeschobene Lava

 
Es war relativ viel los auf der Straße, weil wir uns nicht mehr weit von Los Angeles befanden und etliche Leute – mit Auto oder Mororrad – unterwegs waren zum wohl beliebtesten Abschnitt der Route 66, von dem wir gerade herkamen. Die Sonne brannte uns auf die Käppis. Der Lütte hatte beste Laune. Er sang die ganze Zeit vor sich her, irgendwelche Melodien, die ich nicht kannte, vielleicht stammten sie noch aus der Welpengruppe. Am ruhigsten war der Karlsson. Sei Blick blieb starr auf die Landschaft geheftet, so als dürfe er nichts verpassen, was sich ihm noch bot. Er litt wahrscheinlich am meisten darunter, dass die Reise bald zu Ende war. In den Skylark hatte er sich ohne Zweifel unsterblich verliebt. Mir hatte die Reise auch viel Spaß gemacht, allerdings tat mir ab und zu auch der Hintern weh. So eine Rückbank (ob mit Originalleder bezogen oder nicht) war doch recht hart und wenn's um die Kurven ging, hatte man sich gut festhalten müssen, um nicht hin und her geschleudert zu werden. 
 
Das Wüstengestänge heißt Joshua


Bevor wir nach San Bernadino reinfuhren, haben wir noch schnell einen kleinen Abstecher zur so genannten Bottletree-Ranch gemacht. Das lag auf dem Weg. Der Inhaber fertigte hier auf Metallvorlagen schlanke Konstruktionen, auf deren Arme Flaschen gesteckt waren. Die konnte man sich anschauen. Das war sehenswert.

Bottletree-Ranch: originell

 
„Ist das Kunst?‟, hat der Lütte gefragt.
„Das ist Metall und Glas‟, habe ich geantwortet.
Manche Fragen unserer Kinder bringen einen an den Rand der Bildung.

Die Stadt San Bernadino hat 220.000 Einwohner. Wir haben an einem Diner gehalten, um eine Cola zu trinken. Das heiße Wüstenklima machte durstig. Die Luna entsorgte bei der Gelegenheit ihre Tüte von den Karotten aus Oatman.
„Hast du noch welche übrig?‟, hat sich der Boff erkundigt.
„Nee, alles aufgegessen.‟
„Na, Gott sei Dank.‟
Diesmal sprach er mir aus der Seele.

Wisst ihr, wofür die Stadt bekannt ist? 1940 wurde hier in San Bernadino das erste McDonald's eröffnet, damals noch als Barbecue-Restaurant. Wie es dann weiterging mit dem Geschäft, wissen wir wohl alle. Heute kann man dort ein Museum besuchen.

San Bernadino: das Museum dazu

 
Das war insofern misslich, als der Lütte und der Karlsson angesichts der Bilder von den Burgern und Beefpaddies Hunger bekamen. Deswegen mussten wir extra noch einen entsprechenden Futterstopp einlegen, bevor wir wieder einsteigen konnten zur letzten Strecke nach Los Angeles. Adieu, Provinz, willkommen Großstadt.

So, liebe Leute, wir befanden uns auf dem Endspurt. Da jeder reihum zweimal dran war mit dem Berichten von einer Etappe, obliegt die letzte Station meiner Federführung. Das trifft sich gut, denn ich hatte ja auch die Einleitung geschrieben, und so war es ja nur recht und billig, dass mir jetzt die Ehre des Abschlusses zukam.

Wir fuhren durch flache Wüstenlandschaft in Richtung Los Angeles. Dazu brauchten wir nur etwas mehr als eine Stunde. Allerdings endet die Route 66 erst am Pier von Santa Monica. Daher mussten wir einmal durch die Stadt fahren. Die Fendy kriegte natürlich gleich glänzende Augen, weil sie sich schon die Geschäfte von Beverly Hills leerkaufen sah. Der Karlsson erschien mir etwas bedrückt. Sicher machte ihm zu schaffen, dass er den Skylark nicht mitnehmen konnte. Ich wette, er würde sich das Ding glatt ins Herrenzimmer stellen. Während wir uns durch den Stadtverkehr wühlten, habe ich darüber nachgedacht, dass eine der Reisen ja schon mal nach Los Angeles gegangen war, damals noch mit dem Max. Und wer von uns ist dabei gewesen? Die Fendy nicht, die Luna nicht, die Polly nicht, der Lütte Bonaparte nicht und ich auch nicht. Nur die Cora und der Karlsson kannten die Stadt schon.
„Weißt du noch?‟, haben sich die beiden angegrinst.
Na, dann waren wir ja jetzt in guten Händen. Vielleicht könnten sie die Luna ein wenig entlasten mit einem Vorschlag, was man sich auf die Schnelle noch anschauen könnte. So viel Zeit blieb uns nämlich nicht mehr. Morgen früh würde der Flieger schon nach Hamburg starten.

Aber erst mal mussten wir in Santa Monica unsere Reise offiziell beenden. Wir schrien „Yeah!‟, als wir das Schild entdeckten.

Geschafft!

 
Johann hielt den Wagen an. Vor uns lag der Pier mit dem Strand dahinter. Pazifik, nicht wahr? Leute liefen hin und her, als sei es völlig egal, dass wir soeben eine historische Leistung vollbracht hatten. Wo blieb das Empfangskommitee mit der Urkunde? Man kriegt doch auch so was, wenn man den Iron Man geschafft hat oder wenn man gesund in Santiago de Compostela angekommen ist. Warum nicht hier? Die Cora hat den Kopf geschüttelt.

Jemand war dann aber doch noch gekommen zur Begrüßung. Plötzlich stand die Julie aus Detroit da. Neben ihr hockten ein grauer Kater mit weißen Pfoten und ein braun-weißes schmächtiges Hündchen mit imposanten Tütenohren. Das war jetzt nicht wahr, oder? Aber ehe ich näher darüber nachdenken konnte, war das Hündchen bereits losgerannt und wie ein Geschoss der Polly um den Hals gefallen. Begeistertes Jaulen war zu hören und Schlabbergeräusche im Takt eines Maschinengewehrs. Für einen kurzen Augenblick beschlich mich ein furchtbarer Verdacht. Aber Gott sei Dank, so sehr ich mich auch umschaute, eine Ente konnte ich nirgends herumwatscheln sehen.
„Wo kommt ihr denn her?‟, hat die Luna gestaunt.
Dem Tonfall ihrer Frage konnte ich entnehmen, dass sie von dieser Entwicklung der Ereignisse keine Kenntnis gehabt hat und ebenso überrascht war wie wir andern. Die Zusammenhänge waren schnell erklärt. Vom Luke erfuhren wir, dass er das Jahrestreffen der Bay-Watch-Freiwilligen in Malibu besucht hatte. Und da der Lütte Emil ja nicht hatte mitfahren dürfen auf die Route 66, habe er ihn mitgenommen, damit er auch mal rauskäme. Sie hätten sich Hollywood angeschaut, den Hall of Fame, Rodeo Drive und alles andere auch, was man halt so besichtigt in Los Angeles. Nicht wahr, die Überraschung sei ihnen gelungen. Angesichts der Aufzählung der besuchten Attraktionen waren Fendys Mundwinkel säuerlich zusammengeschrumpelt. Die grüne Nuss ist und bleibt halt eine Großstadtpflanze. Am liebsten hätte sie die Cora gleich auf den Pier geschleift, damit die Foto-Dokumentation keine Lücken erfuhr.

„Ihr kommt natürlich noch mit zur Abschiedsfeier‟, hat die Jessica gesagt. „Ich lade euch ein. Heute Nachmittag gebe ich eine kleine private Strandparty – nur für euch.‟
Einverstanden, damit war das auch geklärt. Wir verabschiedeten uns vom Johann. Er würde den Skylark zurück nach Hause fahren, allerdings auf schnelleren Straßen als auf der Route 66. Mit Feiern habe er es nicht so, daher winkte er nur einmal kurz jedem zu, bevor er in den Wagen stieg. So war Johann die ganze Fahrt über gewesen, so menschlich sparsam. Man musste ihm dankbar sein, dass er uns heil ans Ziel gebracht hat.
„Kann man dich anderweitig buchen?‟, hat sich die Luna noch erkundigt und das Ergebnis in ihr Notizbüchlein geschrieben.
Der Karlsson schaute dem Skaylark nach, so lange es noch ging, bevor er um eine Ecke bog.
 
Mit einem Taxi kamen wir zum Hotel, wo wir die Nacht verbringen würden. Der Luke und der Lütte Emil verschwanden in ihre eigene Unterkunft (ein Fünf-Sterne-Hotel mit Seeblick, wie wir später erfuhren). Da es bereits nach Mittag war, blieb leider keine Zeit mehr, uns noch was von der Stadt anzuschauen. Wir musten uns fertig machen für die Party. Glücklicherweise besitzt die Fendy das Talent, angesichts des magischen Wortes „fertig machen‟ sofort auf Vorfreude umzuschalten, denn andernfalls hätte sie uns bestimmt den restlichen Tag vollgenölt, was sie in Los Angeles alles verpasst habe. Jetzt duschte sie ausgiebig, legte irgendeine Farbe aufs Gefieder und nebelte das Hotelzimmer mit einem ihrer Stinkewässerchen ein.

Nachdem wir andern uns ebenfalls vom Staub der kalifornischen Straße gereinigt hatten, wurden wir von einem weiteren Taxi abgeholt und ans Meer gefahren. Hier am Strand waren wir ganz für uns. Besucher mussten die weitläufige Umsperrung umlaufen. Im feinen hellen Sand war ein weißes Zelt aufgestellt mit geöffneter Vorderfront. Darin befand sich eine Bar mit weichen Sitzkissen davor, mit einer kleinen Musikanlage und einem Kellner im weißen Jackett mit schwarzer Fliege. Oh, wow! Da hatte sich die Johanna aber mächtig ins Zeug gelegt. Auch die Fendy war beeindruckt.

Der Luke traf mit dem Lütten Emil kurz nach uns ein. Offenbar hatten sich die drei, während wir noch auf der Route 66 gewesen waren, miteinander bekannt gemacht. Anders war nicht zu erklären, woher sich der Kater, der Emil und die Joleen kannten. Ich wollte gar nicht wissen, in welchen Chats sich andere so rumtrieben. Ich war froh, dass es etwas zu trinken gab. Ich hatte Durst.
„Kann ich einen Cocktail haben?‟, habe ich den Kellner gefragt.
„Selbstverständlich. Darf es ein bestimmter sein?‟
„Nö. Nur flüssig bitte.‟
Das Zeug schmeckte angenehm fruchtig. Ich habe gleich mehrere hintereinander getrunken. Dabei schaute mich die Luna böse an. Aber irgendwann kam die Jaclyn und hat ihr was ins Ohr geflüstert. Sofort hellte sich Lunas Miene wieder auf. Begeistert machte sie ein Okay-Zeichen mit der Pfote und dampfte wieder ab zu den Sitzkissen, wo sich schon der Karlsson, die Cora, der Luke und die Fendy niedergelassen hatten. Sanfte Musik orgelte aus dem Lautsprecher. Der Kellner servierte jetzt Häppchen von einem Tablett. Gurckenschnitten waren auch darunter. Das steigerte Lunas Laune ins Unermessliche. Unterdessen spielte die Polly mit dem Lütten Bonaparte und dem Lütten Emil fangen an der Brandung. Sie hatten sich wiedergefunden, die Mary Poppins und ihre beiden Schützlinge.

Später haben wir noch getanzt. Im feinen, tiefen Sand gestaltete es sich zwar etwas anstrengend, doch die Freude, den Abschluss unseres Abenteuers mit ausgelassenen Bewegungen zu feiern, machte alles wett.
„Bist du noch nicht blau?‟, wollte der Karlsson wissen, als ich das sechste Glas Cocktail in der Hand hielt.
Jetzt, wo er es ansprach: Zu Kopf gestiegen war mir noch nichts. Nö, es war nichts zu merken. Ich fühlte mich wunderbar. Die Cora grinste blöd.

Nach einem warmen Abendessen mit Grillfleisch, Ofenkartoffeln mit Sour-Creme, einem Obstteller und der gottvollsten Gemüseplatte, die es in der westlichen Hemisphäre je gegeben haben dürfte, klang die Party allmählich aus. Von Anfang an hatte ja festgestanden, dass sie zu Ende wäre, sobald es dämmerte. Wir umarmten unsere Gastgeberin: herzlichen Dank für die tolle Party, herzlichen Dank für den Skylark und den Johann, herzlichen Dank für alles. Es war eine Superreise gewesen, das konnte man mit Fug und Recht hehaupten. Der Karlsson hat dann noch minutenlang mit der Jodi geflüstert, bevor er hinter uns hergelaufen kam.
„Habt ihr das gesehen?‟, hat die Cora mit der Zunge geschnalzt.
 
Los Angeles bei Sonnenuntergang: hat was


Inzwischen war klar, dass der Luke und der Lütte Emil morgen früh mit demselben Flieger nach Hause zurückkehren würden. Also wären wir nur kurz getrennt. Trotzdem hat der Lütte Emil gejammert und geheult und der Polly am Hals gehangen, als sei der Abschied für immer.
„Na, nun sei man ein Mann!‟, hat der Lütte Bonaparte schließlich gesagt.
Der hatte gut reden; der hatte seine Tante Polly ja die ganze Reise über allein für sich gehabt. Nächstes Mal müssten wir das Ganze sowieso anders organisieren. Irre ich mich oder hatte der Lütte Bonaparte unterwegs sehr nachgelassen beim Catering? Nicht dass wir das aus dem Auge verlieren. Ich wollte es nur gesagt haben, bevor Klagen kommen.

Vorerst sind wir jedenfalls zum Hotel zurückgekehrt – mit dem Lütten Emil im Schlepptau. Er hatte sich durchgesetzt. Eng aneinandergekuschelt lag er später mit der Polly auf dem Bett.
„Geht's dir noch immer gut?‟, hat mich jetzt die Luna befragt.
Was ging hier vor? Warum interessierte sich plötzlich jeder für mein Wohlbefinden?
„Na, dann ist ja alles in Ordnung‟, hat die Luna sich erleichtert gezeigt, als sie wohl die richtige Antwort zu hören gekriegt hatte.   
Mir kam es etwas scheinheilig vor.

In der Nacht, als alles schlief, wurde ich von einem konspirativen „Pst‟ geweckt. Es kam vom Lütten Bonaparte von der vorderen Bettseite
„Ja? Was willst du denn?‟
„Wenn du mich nicht mehr ärgerst mit dem Proviantbeutel, dann verrate ich dir, dass die Joan dem Kellner gesagt hat, dass du keinen Alkohol in deine Cocktails kriegen darfst. Deshalb bist du noch nicht duhn. Über deinen Absturz in Chicago weiß inzwischen ganz Detroit Bescheid.‟
Aha, das war's also. Und ich hatte gedacht, man erkundige sich bei mir aus Mitgefühl. Schöne Freunde hatte ich.

Am Morgen am Flughafen ist der Luke zu uns gestoßen. Der Rückflug gestaltete sich unspektakulär. Vor uns in der Reihe lag die Polly auf einem Dreiersitz mit dem Lütten Emil links neben sich und dem Lütten Bonaparte rechts neben sich. Der Karlsson hatte einen neuen Zuhörer gefunden: Dem Luke war offensichtlich noch nicht restlos klar, dass es sich bei dem 53er Buick Skylark um das schönste Auto der Welt handelt. Man musste ihm das noch genauer erläutern, viel genauer. Ich war froh, dass man in Flugzeugen nicht die Türen öffnen kann, sonst wäre ich mir sicher, dass der Luke unterwegs ausgestiegen wäre. 
 
Fotos: Cora © G. H.
           Micky, Luke, Emil: © Club der glüklichen Vierbeiner
           Karlsson, Polly: © Terrierhausen
           Luna: © K. R.
 
          Zeichen Route 66: Pixabay
          The Bean, Chicago: Pixabay
          Chicago Ricver: Pixabay
          Buick Skylark: artistmac/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Springfield, Haus Lincoln: Pixabay
          Springfield, Innenstadt: Randy von Liski/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          St. Louis, Arch: Sam Valadi/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Dampfer, Missouri: Pixabay
          Oklahoma, Straße: DeeAshley, Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Oklahoma City: Travel Aficionado/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Rodeo: Pixabay
          Alte Tankstelle: Pixabay
          Amarillo, Stadt: Kent Kanouse/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Cadillaxc-Ranch: Pixabay
          Albuquerque, Ballons: Len Radin/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Albuquerque, Landschaft: Pixabay
          Gallup, Hotel El Rancho: terry Feuerborn/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Gallup, Straße, Schild: Pom/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Monument Valley: Pixabay
          Flagstaff, Barringer-Krater: mlhradio/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Sonnenuntergang: Jimmy Emerson/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Flagstaff, Teleskop: Bill Lile/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Grand Canyon: Pixabay
          Seligman, Grocery: Jonathan Lobel/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Seligman, Auto: Scottb211/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Seligman, Bude, Schilder: mlhradio/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Seligman, Schaufensterpuppen, Edsel: Road Travel America/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Arizona, Lanschaft, Straße: Domenico Convertin/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Kingman, Zeichen Route 66: Wes Dickinson/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Kingman, Locomotive: J. Strephen Conn/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Kingman, Verkauf: Wes Dickinson/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Oatman, Landschaft: joannapoe/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Oatman, Straße: Domenico Convertin/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Oatman, Esel: Ken Lund/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          San Bernadino, Luftansicht: Marie/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Joshua Tree: ChrisGoldNY/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Bottletree-Ranch: Pixabay
          San Bernadino, McDonald's, Museum: We travel the world/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Los Angeles, Sonnenuntergang: Pixabay
          Santa Monica Schild: Pixabay

          © Boff

Kommentare

  1. Also, liebe Reisegruppe, bevor der weltbeste Terrier in den weltbesten Terrierhimmel auffährt, müsste ihr dringend eine Sache von mir lernen. An eine Bar geht man NICHT, um eine Strichliste zu führen, wer wann wovon wieviel getrunken hat. VIELMEHR geht man an eine Bar, um in entspannter Atmosphäre nette, schlaue, reiche, schöne, einflussreiche, gebildete, hilfsbereite, unterhaltsame . . . . . . Gesprächspartner kennenzulernen. Joan z.B. !!

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  2. Antworten
    1. Danke für die Aufklärung. Ich dachte, man trinkt in der Bar, damit die Gesprächspartner schneller nett, schlau, reich und schön werden. Leute, die mehr Zeit haben, versuchen es nüchtern auf der Parkbank oder im Café.

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    2. Du denkst mit, Boffilein, das ist gut. Der geübte Bartrinker kann durch die Alkoholnebel hindurch treffsicher feststellen, ob jemand etwas taugt. Weise Grüße vom Karlsson

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    3. Nun ja, aber bis man erst mal diese Fertigkeit erworben hat, muss man ordentlich üben (mit all den Auswirkungen und Rückschlägen). Ich glaube, ich bin noch in dieser Phase.

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  3. Zum Schluss, dank meiner Tante Polly und Cora und Luna ist es dann doch noch eine schöne Reise geworden.
    Und eins sage ich Euch jetzt schon, bei der nächsten Reise könnt ihr Euch einen anderen Deppen suchen. Den Proviantbeutel habe ich vergraben.
    Das mache ich nicht mehr mit. Außerdem will ich bei der nächsten Fahrt auch Alkohol trinken. In Menschenjahren umgerechnet bin ich nämlich schon 24 Jahre alt.
    Luke trägt nur noch Kopfhörer. Er meint ihm sei von Karlsson ein Ohr abgekaut worden. Und sein Bedarf an Gesprächen wäre jetzt bis zum Jahresende 2025 gedeckt.
    Micky

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    1. Na, na, warum so unzufrieden, mein lieber Micky? Willst du wirklich das Erbe unseres lieben Pits so schändlich aufgeben? Da wäre er aber sehr enttäuscht. Er hat dich als sein Ziehsohn unterrichtet. Du bist der Einzige, der seine Geheimnisse kennt. Das macht dich einzigartig in unserer gesamten Reisegruppe. Darüber solltest du nachdenken.

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  4. Ich weiß das ich einzigartig bin. Das sagt mir die Mama jeden Tag. " Dich gibt's wirklich nur einmal" sagt sie immer.
    Und klar, Pit hat mich in all seine Geheimnisse eingeweiht. Aber wurde er jemals von irgendeinem angetrieben? Niemals hätte er sich das von Euch gefallen lassen. Und wenn er mir eins immer wieder gesagt hat, dann war es: Micky, Du bist das Kostbarste was Du hast, also pass gut auf Dich auf!
    Micky

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    1. Pit war kein Azubi, Pit hat seinen Proviantbeutel nie mit sieben Stück American Cheesecake verunreinigt. Pit musste nicht angetrieben werden. Na, merkst du den Unterschied?

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