Mickys Geburtstag
Wenn man drei Jahre alt wird, dann kann man es abends schon mal ordentlich krachen lassen. Wir wollten das Geburtstagskind mit einer anständigen Fete überraschen. Er selbst hatte keine Ahnung davon. Ihr wisst schon, so wie man es aus amerikanischen Filmen kennt: Der Ahnungslose öffnet die Tür, Konfetti wird geworfen und alles schreit „Happy Birthday!“ Unser Plan war nur ein klein wenig individueller angepasst. Am Nachmittag, wenn Tante Susanne mit ihm zur Abendrunde aufgebrochen wäre, würde uns der Luke ins Haus lassen, damit wir in Windeseile die Bude dekorieren und alles aufbauen könnten, was sonst noch dazugehört.
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| Einen Kuchen - selbstgebacken - hatten wir selbstverständlich eingepackt |
Praktischerweise war Mickys Geburtstag am Freitag. Wir waren früh genug angereist: Der Jack und der Emil vom Pferdehof, wir andern mit der Bahn. Die Firmenlimo hatte die Polly von zu Hause abgeholt und dabei auch gleich den Karlsson mitgebracht, da er ja zufälligerweise auch dort wohnt. Verzichten mussten wir leider auf den Erik und den Engelbert. Letzterer saß daheim auf dem Sofa mit zwei verbundenen Schwimmflossen, weil er sich beim Versuch, den Gasherd mit einer Airfryer-Funktion zu bestücken, buchstäblich die Flossen verbrannt hatte. Der Erik wiederum war bei den „Flying Hoppers“ unabkömmlich. Man probt erstmalig eine Weihnachtsshow, wo die Turnierhürden als Dominosteine und Christstollen verkleidet sind und die Akteure rote Zipfelmützen tragen. Das will gut einstudiert sein, vor allem wegen der Glühweinbecher, die ihnen um den Hals baumeln, aber ihnen beim Springen über die Hürden immer ins Gesicht schlagen.
„Hallo, ich bin Helga-Sherezade“, hat sie sich vorgestellt. „Ihr könnt Hesha zu mir sagen.“
Dabei schaukelten die lila Strassohrringe, die ihr bis fast auf die Schulter fielen, energisch hin und her. Eine passende Halskette war auch dabei. Die Fendy guckte säuerlich.
„Ziemlich outdated“, hörte ich sie der Cora zuflüstern.
Auf der Bahnfahrt hat sich die Neue lange mit der Luna unterhalten. Sie fände es ja waaaahnsinnig interessant, dass jetzt auch Urlaubsreisen für Tiere angeboten werden – was die Fachfrau ihr denn empfehlen könne. Nun, hat die Luna ausgeholt, für die reine Erholung stünde Sibirien hoch im Kurs, da wenig überlaufen, und fürs Abenteuer Kanufahren an den Niagara-Fällen.
„Oh, ja, Paule, Liebster“, hat die Capybara-Tante in die Pfoten geklatscht. „Wäre das nicht was für uns?“
„Nö, das ist mir zu nass“, kam als Antwort.
Damit war das Thema erledigt.
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| Unser Special Guest, Paules Liebste, hier ohne Partygebammel an den Ohren |
Wir warteten alle zusammen auf das Startsignal in gebührender Entfernung in der Straße, in der Micky wohnt. Die Firmenlimousine hatte uns eingesammelt. Dort war es wenigstens warm und wir konnten gemütlich sitzen. Es begann schon zu leicht zu dämmern, als der Emil uns zurief:
„Da! Sie kommen aus dem Haus.“
Wir beobachteten, wie Tante Susanne den Micky Bonaparte auf die Rückbank im Auto springen ließ, dann das Tor öffnete, in den Wagen stieg und davonfuhr. Sofort stürmten wir aus der Limo. Es war keine Zeit zu verlieren. So lange würden die Spaziergänger nicht unterwegs sein, und wir hatten noch einiges zu tun.
Der Luke machte uns die Haustür auf. Der Karlsson und der Jack schoben die Kiste mit den Girlanden in den Flur. Für großartige Begrüßungen blieb keine Zeit.
„Fangt am besten im Wohnzimmer hat“, hieß es vom Luke.
Gleich darauf klingelte der Partyservice. Er brachte die Futterplatten und auch die Flaschen zum Mixen samt mobiler Cocktailbar. Sehr schön.
Wir dekorierten das gesamte Untergeschoss mit Luftballons, den besagten Girlanden und überdimensionalen runden Pappschildern, auf denen Mickys Lebensjahre zu lesen waren.
„Dreißig?“, frage die Polly irritiert.
Ach, Mist. Wer war das? Wer hatte das Zeug im Internet bestellt?
„Ich“, meldete sich der Mörßel. „Es war ein Sonderangebot. 20 bis 70 zum halben Preis.“
Ach du liebe Güte. Wenn man Teichbewohner schon mal an wichtige Themen ließ. Aber na ja, zu spät. Die Luna ist rumgegangen und hat auf alle Nullen einen Klecks aus der Ketschupflasche gesetzt. Das sah gar nicht schlecht aus, fast schon künstlerisch, und roch sogar lecker nach Currywurst.
Eine Lichtmaschine hatten wir auch. Die Cora hat sie mit dem Emil angeschlossen. Bunte Lichtblitze schossen nun durch die Küche und den Flur. Sie wurden stylisch reflektiert von der Discokugel, die wir über den Esstisch gehängt hatten. Bei der Musikanlage griffen wir auf Vorhandenes zurück. Der Paule sortierte die CDs.
„Iron Maden? Pink Floyd? AC/DC?“, hörte ich den Karlsson fragen.
„Nee“, kam als Antwort. „Der Micky mag offenbar Schlager. Ich hab hier Pur und Petry.“
Mir war das recht, denn bei Hard Rock verschütten die Leute immer ihre Getränke wegen dem Kopfgeschüttele und den Riffs auf der Luftgitarre. Für mich als Künstler am Cocktailshaker sind das Zeichen von Respektlosigkeit, außerdem klebt hinterher immer alles. Nicht jeder Fußboden im Gasthaushalt ist glücklich darüber.
Aber natürlich haben wir alles geschafft, was wir uns vorgenommen hatten. Als das Telefon klingelte und Lütti Bescheid gab, dass sie soeben auftragsgemäß Tante Susanne in Aufregung versetzt habe, die nun sofort zum Pferdehof eilen wolle und nur vorher noch schnell den Lütten Bonaparte vor der Tür abzusetzen gedenke, waren wir vorgewarnt. Wir löschten alle Lichter. Der Karlsson und die Nadeshda spähten vorne durch die Jalousie, um durchzugeben, wann das Auto ankäme. Als es so weit war, stellten wir uns alle zusammen im Flur auf. Es war etwas eng und ich konnte nicht mal den Schein der Außenlampe durch die Milchglasscheibe der Haustür leuchten sehen, weil vor mir ein riesiger Schweinerücken alles verdeckte. So musste ich nach Gehör arbeiten. Irgendwann klingelte es. Der Luke öffnete. Im gleichen Moment drückte der Emil auf den Lichtschalter. Wir schrien im Chor „Überraaaschung!“
Später hat man mir einhellig bestätigt, dass der Micky sehr irritiert geschaut haben soll angesichts des verstopften Flurs mit allerlei Leuten, mit denen er nicht gerechnet hatte. Gut so. Mission erfüllt. Gleich darauf war das gesamte Haus mit quasselnden Stimmen erfüllt. Alles redete durcheinander. Die Lichtmaschine tat wieder ihre Arbeit und aus der Musikanlage wurden wir nun über einen Zug informiert, der nach nirgendwo fuhr. Als ich endlich zum Micky durchgedrungen war, saß er mit einem Geburtstagshütchen, das ihm jemand auf den Kopf gesetzt hatte, auf der Fußmatte und schaute noch immer ziemlich bedröppelt. Ich glaube, er brauchte noch ein wenig länger, um zu begreifen, was hier abging.
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| Unser Jubilar. Hatten wir zu viele Luftschlangen aufgehängt? |
Der zweite Ziehsohn, der Emil, hatte sich mit dem Karlsson in den Wirtschaftsraum verzogen. Dort war es bedeutend leiser, gerade recht für die wichtigen Gespräche, die man zu führen hatte. Ich glaube, es ging um Emils Wunsch, eine Karriere als Geheimagent anzutreten. Ich weiß zwar nicht, warum ihm ausgerechnet der Karlsson als Ratgeber angemessen erschien, denn außer seinem weisen Alter hatte er meines Wissens keinerlei Erfahrungen auf diesem Gebiet weiterzugeben, aber immerhin fielen die Namen Tamara und Ludmilla und das war klug, denn die beiden sind familiär mit gewissen Kreisen verbunden, von denen man annehmen kann, dass sie dem Emil mit hilfreichen Informationen unterstützen könnten. Schließlich will so ein Schritt gut überlegt sein. Mich würde mal interessieren, was der Luke zum möglichen Abgang seines Mitarbeiters sagt. Ich bin aber nicht dazugekommen, ihn zu fragen, weil ich ihn nirgends finden konnte. Irgendwann war er einfach verschwunden. Na ja, ihm war vielleicht das ausgelassene Getobe zu „Schön ist es, auf der Welt zu sein“ ein wenig zu jugendlich. Er ist ja auch nicht mehr der Jüngste.
Wenn ich mich korrekt erinnere, waren wir um Mitternacht noch immer gut dabei. Der Mörßel hat mit der Polly das restliche Fleisch im Ofen aufgewärmt und die Vegetarier-Platten neu und hübsch angeordnet mit frischen Dips und sauberen Servietten. Meine Bar war gut besucht. Übergeben hatte sich bisher noch keiner. Und außer der Hilke-Charlize und dem Luke waren auch keine weiteren Abgänge zu beklagen. Alles hielt sich aufrecht und diszipliniert, so wie es sich gehört, wenn man ein Geburtstagskind ehrt.
„Na, wie gefällt dir die Party?“, habe ich den Micky gefragt, als er gerade wieder von der Tanzfläche kam. Dort hatte er die Luna zu „Schuld war nur der Bossa Nova“ vor sich hin geschraubt. Dauernd musste sie sich unter seiner Pfote drehen.
„Uff“, hat sie schließlich gekeucht und ist zusammengesackt zwischen ihren Hinterpfoten, die in entgegengesetzte Richtungen zeigten.
Dem Micky dagegen sah man keine Schwäche an. Er strahlte.
„Superfete! Ich könnte bis morgen früh durchmachen.“
Nun, man muss ja nicht gleich übertreiben, nicht wahr? Gegen zwei Uhr tanzte niemand mehr. Aus der Anlage säuselte jetzt eine englischsprachige Frauenstimme, dass sie mich always lieben wolle. Die Lichtorgel hatten wir ausgestellt – zu grell. Das Büfett war ordentlich leergefressen, man kann auch sagen verwüstet. Manch einer wurde gesehen, wie er auf dem Sofa lag und schnarchte. Ich nenne keine Namen. Nur so viel: Die Cora war nicht darunter. Sie hielt wie immer tapfer durch und das bei ungefähr 15 Cocktails, die ich ihr gemischt hatte.
Am nächsten Morgen schreckte ich von der Türklingel hoch. Der Partyservice kam, um die Tabletts und das Geschirr vom Büfett abzuholen. Auch meine mobile Bar samt Flaschen wurde eingepackt und weggetragen, ebenso die Lichtanlage und der Discoball. Die Wassersau stand daneben und passte auf, dass nicht aus Versehen zu viel verschwand. Da sie ja früh am Abend eingeknickt war und entsprechend viel geschlafen hatte, konnte sie nun ihren wachen Geist zum Wohle unserer Reisekasse einsetzen. Aus diesem Haushalt hatten wir nämlich unsere Fahrkarten und auch die Kiste mit dem Partygedöns wie den Girlanden und Luftballons bestritten. Gern hätten wir alles wieder vollständig mitgenommen. Den Rest hatte der Luke bezahlt.
Als die Serviceleute weg waren, sah es zwar wieder einigermaßen manierlich aus in der Hütte, aber nun hatten wir nichts mehr zum Frühstück.
„Das tut mir leid“, hat der Micky gesagt. „Hundefutter hätte ich noch anzubieten. Aus der Dose. Oder Katzenfutter vom Luke.“
Im Augenwinkel sah ich den Mörßel den Schnabel verziehen.
„Nee, danke, lass man“, hat die Luna beschwichtigt. „Mach dir keine Umstände. Du hattest schließlich Geburtstag. Und du wusstest ja auch nicht, dass wir kommen. Wir essen dann am Bahnhof eine Kleinigkeit.“
Nachdem wir die letzten Luftschlangen von den Lampen gezurrt hatten, sind wir bald aufgebrochen. Die Firmenlimousine kam auf Zuruf. Sie setzte uns in Itzehoe am Bahnhof ab und fuhr anschließend die Polly und den Karlsson nach Hause. Der Emil und der Jack sind noch geblieben, um geschäftliche Dinge zu bereden, wie es hieß. Tante Susanne wurde noch festgehalten auf dem Ponyhof. Sie soll, wie ich später hörte, gegen Abend nach Hause zurückgekehrt sein.
Ich fasse mal zusammen: Der Micky Bonaparte hatte sich gut gemacht bei seinem Ritterschlag. Er ist nun (fast) ein richtiger Mann. Er hat die Tanzfläche, das Büfett und den Alkohol gemeistert. Man wird sich auf ihn verlassen können. Auf die Zukunft kann man gespannt sein.
„Tschüs und vielen Dank für alles“, hat er uns zugewinkt mit Tränen in den Augen.
Wir drehten uns noch mal um, bevor wir die Partykiste in die Limo hoben. Ja, fanden wir auch, eine tolle Party war das. Kann man gern mal wiederholen. So was macht einen tristen November doch gleich viel freundlicher.




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