Weihnachtsmarkt

Die Cora hatte die Idee. Seit Tagen hockte sie schon bei uns herum, weil sie tagsüber für den Erik die neuste Lokaltier-Kollektion (ihr wisst schon: Push-Pullover) fotografierte. Abends kam sie dann zu uns, futterte den halben Abendbrottisch leer und saß bis Mitternacht mit der Fendy vor dem Fernseher und guckte kitschige Serien. In diesem Ambiente entstand der Plan, einen unserer schönen Weihnachtsmärkte zu besuchen. Hannover hat mehrere davon. 
 
 
Festlich

Ich hätte ja nicht gedacht, dass so kurz vor dem Fest Leute noch Zeit fänden für eine derartige Trödelei, aber Coras Ruf wurde begeistert aufgenommen. Die Polly kam mit dem Lütten Emil und dem Lütten Bonaparte im Schlepptau und sogar der Luke hatte sich angemeldet, denkt mal an.
„Was ist?‟, hat er etwas pikiert gefragt.
Es sei mal wieder Zeit, sich unters Volk zu mischen, sonst verliere man ja die Bodenhaftung, und da der Jack inzwischen so patent sei in den meisten Geschäftsangelegenheiten, um bedenkenlos für ein paar Stunden alleingelassen zu werden, wolle er gern mit uns einen gemütlichen Spaziergang über den Weihnachtsmarkt genießen. Immerhin, für Transport war auf diese Weise gesorgt. 

Mit der Limousine hat er den Pit mitgenommen, dann den Karlsson abgeholt (abgesehen natürlich von der Mary Poppins mit ihren beiden Zöglingen, die selbstverständlich auch im Wagen mitfuhren), ist in Celle vorbeigefahren, um den Erik, die Luna und die Cora einzusammeln, und ganz zum Schluss sollten die Fendy und ich dazustoßen.

Mann, war das kalt, als wir an der Straße standen und darauf warteten, dass wir endlich ins Warme steigen dürften. Natürlich war es schon dunkel, jetzt am Nachmittag im Dezember, und zu allem Übel schneite es auch noch. Nicht viel, alles taute gleich wieder weg, aber es reichte, dass die Krallen steif wurden. Handschuhe trägt die Fendy grundsätzlich nicht, weil sie so bäuerlich aussehen, behauptet sie. Dafür blieben unsere Köpfe schön warm. Wir trugen lustige Weihnachtsmützen und hatten auch den andern gesagt, dass sie es uns gleichtun sollten, schließlich ist nur einmal im Jahr Weihnachten und man sollte schon ein wenig Stil zeigen, wenn man gemeinsam unterwegs ist.



Als uns endlich, endlich die Autotür geöffnet wurde, fiel mir als Erstes der Schwall warmer, fuselgetränkter Luft auf, die uns entgegenschlug. Hatte man etwa schon angefangen mit dem Getränkeprogramm? Ohne uns? Ich fand das echt fies. Die paar Minuten, bis wir dazugestiegen wären, hätte man auch noch auf uns warten können. Es miefte irgendwie nach Likör. Ich guckte die Cora an, aber sie schüttelte den Kopf.
„Nicht während der Arbeit‟, hat sie vehement behauptet.
Komisch, von wem kann dann der süßliche Dunst? Ich guckte mich um. Der Pit grüßte mit seiner Provianttüte (diesmal in Grün und Rot mit silbernen Sternchen, sehr weihnachtlich), die Polly pulte gerade den beiden Lütten eine Mandarine ab, der Luke blätterte mit dem Erik im Manager-Magazin, und der Karlsson rief uns ein fröhliches, aber geruchloses „Horrido!‟ zu. Mir kam ein furchtbarer Verdacht. Den Namen will ich nicht aussprechen. Es war ohnehin bemerkenswert, dass sie sich hatte loseisen können, da doch im Januar ihre Abschlussprüfung ansteht und man normalerweise so kurz vor Ladenschluss mit Büffeln beschäftigt ist. Mehr will ich dazu nicht sagen. Man wird die Sache unauffällig beobachten müssen. Ich tippe auf Marillenlikör.

Bei uns in der Altstadt zeigen manche Ampeln an den Fußgängerüberwegen in der Vorweihnachtszeit keine der üblichen Männchen, die einem zum Halten oder Gehen auffordern, sondern Elche in Rot und Grün. Die sind echt witzig. Die Cora hat sehr gelacht, als sie es bemerkte. Die Limousine hatte uns an der Hauptstraße rausgelassen, den Rest mussten wir zu Fuß zurücklegen. Die beiden Lütten waren sehr aufgeregt. Ich glaube, es war ihr erster Weihnachtsmarkt. Folglich hat die Polly die Führung übernommen. Die Kinder sollten ja auch was lernen, nicht wahr? 



Wir warteten einen Augenblick, bis die drei so weit vorgelaufen waren, dass sie uns nicht sofort entdecken konnten, wenn sie sich umdrehten – dann bogen wir nach links ab. Das Getümmel nahm uns schützend auf.
„Ist das nicht ein bisschen gemein?‟, gab die Luna zu bedenken.
„Nö‟, habe ich geantwortet. „Auf dem Weihnachtsmarkt gibt es viel zu entdecken, mittelalterliches Schmiedehandwerk, Seifenherstellung, Töpfereien, Holzschnitzarbeiten und nicht zuletzt kinderfreundliche Schmalzkuchen und Liebesäpfel, da werden sie uns bestimmt nicht vermissen.‟
„Recht hat er‟, kam vom Karlsson.
Er steuerte sofort einen Bratwurststand an. 

Dort haben wir ausgeharrt, bis er, der Pit und der Luke satt waren. Das war nach ungefähr je fünf Portionen (ohne Kartoffelsalat) der Fall. Anschließend ging es zum Veggie-Grill. Die Luna, die Fendy und ich bestellten gebratene Champignons, während der Erik und die Cora sich für  Gemüseburger entschieden. Zum Nachtisch spendierte die Fendy eine Tüte gebrannte Mandeln.
„Danke‟, hat der Pit gesagt und mit der Kralle die Hälfte in seinen Proviantbeutel geschaufelt.
Ich finde das Zeug ja ziemlich klebrig und hart, und es verwundert mich kein bisschen, dass die Cora seitdem eine gezackte Lücke in ihrem Schnabel trägt.
„Das wächst wieder‟, hat die Fendy getröstet. 
Sie hielt der Cora ihren Taschenspiegel hin, damit sie das Malheur aus nächster Nähe begutachten konnte. Daraufhin trauten sich der Erik und die Luna auch nicht mehr herzhaft zuzubeißen, obwohl sie ja reguläre Zähne besitzen und daher für derartige Zerkleinerungen perfekt ausgestattet sind. Misstrauisch drehten sie ihre Mandeln in der Pfote herum. Am Ende landeten auch sie in Pits Proviantbeutel. Als Resteverwerter ist unser Ringelkater genauso unschlagbar wie als Nahrungsbeschaffer. 
 
Das da rechts brauchten wir nicht. Das hatten wir selbst mitgebracht


Nun da wir uns so vorbildlich eine Grundlage angefuttert hatten, wurde es Zeit, den Magen zu fluten.
„Aaaah!‟, entfuhr es der Cora. „Jetzt kommen wir zum gemütlichen Teil.‟
Der Vorschlag, mit Feuerzangenbowle zu beginnen, kam vom Luke. Erstaunlich, wo er doch sonst so gesund lebt.
„Was ist das?‟, wollte der Erik wissen.
„Hochprozentiger Rum mit einem Stück Zucker obendrauf. Das Ganze wird angezündet.‟
„Aha.‟
Es klang nicht sehr begeistert, doch soweit ich mich erinnere, hat er einmal brav an der Tasse genippt. Durch das Feuer war ja sowieso der meiste Alkohol verschwunden. Den Rest konnte man getrost als warme Brühe bezeichnen.
„Genau!‟, fand auch die Luna und hat einen ordentlichen Schluck genommen. 
 
 
Muss man abkönnen


Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mehr genau, ob wir als Nächstes zum Glühweinstand gegangen sind oder erst den Eierpunsch getrunken haben. Ich weiß nur, dass wir viel zu lachen hatten. Kalt war es irgendwann auch nicht mehr, nur ein wenig wackelig. Der Karlsson sah aus, als bewegte er sich in Zeitlupe in einer nebeligen Aura. Lange habe ich darüber nachgedacht, ob wir vielleicht zwischendurch einen Stand mit Schneekugeln besucht hatten, wo man ihn als Event zu Vorführzwecken in so eine lebensgroße Kugel hat steigen lassen, aber wie gesagt, ich kann mich nicht daran erinnern. Er sprach auch so komisch, genau wie die Luna und die Fendy, die jetzt eine ganz leierige Stimme hatten. Später fingen die Lichterketten über uns an den Laternen und an den Buden an zu kreisen. Zwar war das ohne Zweifel eine gut gemeinte Showeinlage von den Betreibern, aber leider schlug es ganz schön auf den Magen. Ich glaube, ich wurde seekrank. Irgendjemand hat mich links und rechts untergehakt (es war kuschelig an meinen Flügeln) und mich in den Klowagen geführt. Danach ging's mir besser. Vor der Tür standen plötzlich drei Monster, die ich noch nie gesehen hatte: ein großes mit langem Fell, ein kleines mit großen Ohren und eine mittelbraune Omi mit Kinnbart. Sie trug einen leuchtend orangefarbenen Onesie mit Stehkragen und hohem Beinausschnitt. Hihihi, was man für einen Quatsch zu sehen meint, wenn man zu lange in seinen Kakaobecher schaut. Sonderbar war nur, dass sie mich zu kennen schienen. Jedenfalls wussten sie meinen Namen und redeten über mich. Der eine sagte:
„Nicht wahr, Tante Polly? Der Boff hat keine Disziplin.‟
Darauf kam als Antwort:
„Ja, das ist ganz schlimm. Nehmt euch bloß kein Beispiel daran.‟

Wie bitte? Gerade wollte ich den Fratzen meine Meinung geigen. Wie kamen sie dazu, so über mich zu reden? Aber beim Versuch, einen gezielten Kung-Fu-Schritt in ihre Richtung zu treten, muss ich das Gleichgewicht verloren haben. Die Lichter um mich herum drehten sich jetzt noch schneller als sowieso schon, dann knickte ich zu Boden. Ich glaube, unter mir lagen Pommes auf dem Pflaster. Die hatten mich abgefedert. Nun hörte ich eine Stimme nach dem Pit rufen. Er solle sofort mit seiner Provianttüte herkommen, aber ausgeleert bitte. Wieso der Pit? War der etwa auch hier? Wenig später wurde es dunkel um mich herum, so als säße ich in einer Blase aus dichtem Nebel. Es roch nach Wurst, gebrannten Mandeln und türkischem Honig. Die Wände fühlten sich an wie Geschirrtuch. Aber gemütlich war's. Ich rollte mich ein. Alles blieb ruhig. Nur noch dumpf drangen Geräusche zu mir durch. Nichts schwappte mehr in meinem Kopf, nichts in meinem Magen. Herrlich.

Als ich wieder aufwachte, war es heller Vormittag. Ich lag auf unserem Sofa auf einem Kissen, zugedeckt mit einem Häkeltopflappen aus der Küche. Neben mir saß die Fendy. Ich weiß noch, dass ich dachte, hey, die sieht aber zerrupft aus. Sie war gerade dabei, sich von oben bis unten mit Minzöl einzureiben. Das soll ja gut sein gegen Kopfweh. Die Cora war schon weg nach Celle zu ihrem Fotografenjob, aber bald wieder zurück, da man sie wieder weggeschickt hatte.
„Der Erik hat nur durch die Tür gerufen, dass er vorübergehend tot sei und ich morgen wiederkommen soll. Von der Luna habe ich nichts gesehen.‟
Oh-oh, das wird teuer werden für die Firma, wenn der Erik jetzt all die Models bezahlen muss, die umsonst angereist sind und nun womöglich Repress geltend machen wegen Fahrkosten und Verdienstausfall. Hoffentlich ist der Erik gut versichert.

Vom Karlsson hörte ich später, dass man ihn vor der Haustür aus der Limousine gekippt hat, weil er so fest schlief und vorher hartnäckig und vehement behauptet hatte, er sei obdachlos und würde daher unter keinen Umständen diesen schicken, warmen, gemütlichen Wagen verlassen. Die Polly hat ihn am Halsband ins Haus geschleift. Der Abschied von den beiden Lütten sei wieder herzzerreißend gewesen. Beide trugen ein Lebkuchenherz um den Hals. Eins war mit der Aufschrift „Hosenscheißer‟ versehen, das andere mit dem Schriftzug „Ewig dein.‟ Ich mache mir Sorgen um den Nachwuchs. So wachsen keine richtigen Männer heran. 
 

Ich weiß, wer sich hier was ausgesucht hat

Wie der Pit zu Hause angekommen ist, davon habe ich keine Information. Wahrscheinlich hat er sich nur mal kurz geschüttelt und gleich an den Frühstückstisch gesetzt. Das sähe ihm ähnlich. Ich nehme an, die dreiundzwanzig Glühweinbecher, die sich später unterm Sitz der Limousine anfanden, sind auf sein Engagement zurückzuführen. Ich jedenfalls hatte meine Pfandbecher immer gleich zur Bude zurückgebracht. Falls jemand noch ein hübsches Geschenk braucht: Der Pit hat die Becher kostengünstig bei Ebay eingestellt.

Über den Luke geht das Gerücht, dass er auf dem Weihnachtsmarkt ständig „O Tannenbaum‟ gegrölt hat, immer wieder von vorn. Auch soll er dem Erik mehrfach um den Hals gefallen sein und mit ihm Brüderschaft getrunken haben. Komisch, dabei haben sie sich doch noch nie gesiezt. Aber das muss wohl so sein unter Geschäftsleuten. Auf der Privatfeier werden sie niedlich.

Fotos: Cora: © G. H.
           Pit, Luke, Micky, Emil © Club der glücklichen Vierbeiner
           Karlsson, Polly: © Terrierhausen
           Erik, Luna: © K. R.
 
© Boff

Kommentare

  1. Was für eine Sause. Ich sage ja immer man muss eine richtige Grundlage schaffen, dann bekommt man am nächsten Tag auch keine Kopfweh. Uns ging es übrigens blendend.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, die richtige Grundlage ist wichtig. Nur die Champignongs lagen wohl nicht schwer genug im Magen. Kartoffelknödel wären besser gewesen. Da wäre der Glühwein nicht so schnell durchgesickert.

      Löschen
  2. Oh, Mist, mein Pabba hat sich furchtbar aufgeregt, ich wäre schließlich ein Herr, ein Gutsherr und wo denn mein Niveau geblieben wäre ????? Tob, schnaub, wüt !!!!! Also wurde gleich mal festgelegt, im nächsten Advent muss ich in eine Kirche, in der das Weihnachtsoratorium von Bach gegeben wird und zum Weihnachtsmarkt auf dem HERRENhaus Hoyerswort an der Nordsee. So soll ich wieder auf den richtigen Weg gebracht werden. Man hat's nicht leicht. Euer Dr. Karl Sonne

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wie bitte? Hannover hat nicht das richtige Niveau? Dein Pabba spinnt wohl. Hier lebten Könige, und in der Limousine haben wir "Jauchzet, frohlocket" gehört. Das ist ja wohl auch von diesem Bach, nicht wahr? Edler kann mann sich gar nicht vorweihnatlich besaufen. Sag ihm das!

      Löschen

Kommentar veröffentlichen